Ein Wochenrückblick des Science Media Center, über welche Forschungsergebnisse viele Wissenschaftsjournalisten zeitnah berichten:

Einige Gene von gentechnisch modifizierten Mücken mischen sich in die natürliche Population (Nature Scientific Reports)

Je nach Stichprobe und verwendeter Definition genetischer Introgression haben sich in zehn bis 60 Prozent der wilden Mücken im brasilianischen Ort Jacobina auch Gene einer genetisch veränderten Population gefunden. Von diesen waren mehr als 27 Monate lang wöchentlich etwa 450 000 männliche Individuen ausgesetzt worden. Das Besondere dabei: Eigentlich sind die ausgesetzten Individuen so modifiziert gewesen, dass ihre Nachkommen nicht lange hätten überleben können. Wären sie alle so schnell wie geplant gestorben, hätten sich keine ihrer Gene weiterverbreiten können. Wie die Wissenschaftler*innen der US-amerikanischen Yale University nun gezeigt haben, haben einige Individuen lange genug überlebt und ihre Gene in die natürliche Population getragen. Die Forscher*innen haben drei, zwölf und 27 bis 30 Monate nachdem begonnen worden war, die modifizierten Mücken auszusetzen, ihre Proben genommen. Vom zwölften bis zum 27. bis 30. Monat hat die Verbreitung der Gene der ausgesetzten Mücken dabei leicht abgenommen. Somit könnten sie ein evolutionärer Nachteil sein, gegen den selektiert wird. Allerdings trugen die genetisch modifizierten Mücken das Erbgut einer kubanischen und einer mexikanischen Art in sich. Da die neue Mischpopulation deshalb genetisch vielfältig ist, könnte sie laut der Studie robuster sein, als die bisherige wilde Population. Direkte Hinweise für diese Vermutungen haben die Forscher*innen jedoch nicht gefunden. Ihre Studie ist am 10.09.2019 im Fachblatt Nature Scientific Reports publiziert worden.

Mindestens zehn Mal ist von deutschsprachigen Medien unabhängig voneinander über die Publikation berichtet worden. Es hat hierbei zwei Phasen gegeben. Die frühen Artikel haben vor allem die an den Versuchen mit genmodifizierten Mücken geübte Kritik aus der Studie wiedergegeben. Dabei ist ein Vertreter des Gentechnik-kritischen Münchener Vereins Testbiotech von der Deutschen Welle, der dpa, infranken.de und dem WDR zitiert und bei 3Sat interviewt worden. Ihm zufolge hat der Versuch mit den Mücken zu einer weitgehend unkontrollierbaren Situation geführt. Der Vorfall müsse Folgen für den weiteren Einsatz der Gentechnik haben. Außerdem ist von der Deutschen Welle und Neues Deutschland ein brasilianischer Biologe wiedergegeben worden, der die Aussetzung der Mücken als überstürzt bezeichnete. Dagegen ist in späteren Berichten darauf hingewiesen worden, dass einige Ko-Autor*innen, andere Wissenschaftler*innen und die Firma Oxitec, welche die Moskitos freigesetzt hatte, deutliche Kritik an der Studie geübt haben. Darauf hat etwa der Deutschlandfunk (27.09.2019) in einer Anmerkung zum eigenen Bericht hingewiesen. Zudem haben Neues Deutschland und die Süddeutsche Zeitung einen an der Studie unbeteiligten Experten der Pennsylvania State University zitiert, der die gezogenen Schlussfolgerungen als Spekulationen kritisierte. Insbesondere bemängelte er, es gebe keine Hinweise für die geäußerte Vermutung, dass die Mischpopulation möglicherweise robuster sein könnte. Zudem hätten die Studienautor*innen darauf hinweisen müssen, dass die Mischpopulation zwar Gene der ausgesetzten Mücken in sich getragen haben, jedoch nur aus deren natürlichen genetischen Hintergrund. Die beiden speziell für das Töten der Mücken eingefügten Genmodifikationen seien nirgends gefunden worden. Ein weiterer unbeteiligter Experte des Massachusetts Institute of Technology nannte die Studie laut der Süddeutschen Zeitung sogar „bereitwillig irreführend“, da die eingebauten Transgene der Mücken nicht in der Natur überdauerten und die gefundene Vermischung keine Überraschung sei.

Steckbrief

Journal: Nature Scientific Reports

Pressemitteilungen: Nein

Aufgegriffen von:

  • inFranken.de (04.10.2019)
  • WDR5 (11.09.2019)
  • 3Sat (12.09.2019)
  • Deutsche Welle (12.09.2019)
  • Deutschlandfunk Forschung Aktuell (12.09.2019)
  • dpa: Ärzte Zeitung online (12.09.2019), Spiegel online (12.09.2019), Tagesspiegel online (12.09.2019), Welt online (12.09.2019), äquivalent APA: Standard online (12.09.2019)
  • MDR.de (12.09.2019)
  • Süddeutsche Zeitung Online (21.09.2019)
  • Deutschlandfunk Forschung Aktuell (27.09.2019)
  • neues-deutschland.de (28.09.2019)

Insektizid Imidaclorid schadet Zugvögeln (Science)

Dachsammern, die auf ihrem Zug zu den Brutplätzen geringe Mengen des Neonicotinoids Imidacloprid verabreicht bekommen haben, haben im Vergleich zu anderen Artgenossen deutlich an Gewicht verloren sowie länger für die Weiterreise gebraucht. Wissenschaftlerinnen der kanadischen University of Saskatchewan hatten 36 der Zugvögel auf einem ihrer Zwischenstopps eingefangen und je zwölf von ihnen eine Dosis von 1,2 beziehungsweise 3,9 Milligramm Imidacloprid pro Kilogramm Körpergewicht verabreicht. Den Forscherinnen zufolge können die Tiere ähnliche Mengen in kurzer Zeit in der freien Natur aufnehmen. Mit einem Sender versehen konnten die Vögel daraufhin verfolgt und untersucht werden. Innerhalb von sechs Stunden nach dem Eingriff haben sie deutlich weniger gegessen und sechs Prozent ihres Gewichts eingebüßt. Im Median haben sie außerdem dreieinhalb Tage später als die Tiere der Kontrollgruppe ihren Rastplatz verlassen, um weiterzuziehen. Die Wissenschaftlerinnen vermuten, die verzögerte Abreise sei nötig gewesen, um den Gewichtsverlust wett zu machen oder sich von einer möglichen Vergiftung durch das Neonicotinoid zu erholen. Sowohl die Verzögerungen auf ihrem Zug als auch die Verluste an Gewicht könnten zum Teil erklären, weshalb Zugvögel-Populationen zurückgingen.  Die Studie ist am 13.09.2019 im Fachblatt Science veröffentlicht worden.

Mindestens zehn Mal haben deutschsprachige Medien unabhängig voneinander über die Publikation berichtet. Übereinstimmend ist sie dabei als Beleg dafür bewertet worden, dass Neonicotinoide wie Imidacloprid eine wahrscheinliche Ursache für den Rückgang der Zug- und Ackervögelbestände seien. Viele an der Studie unbeteiligte Expert*innen hielten die Studienergebnisse für wichtig. So bezeichnete ein Experte der Radboud Universität Nijmegen die Ergebnisse laut dem Deutschlandfunk als alarmierend. Er warnte davor, dass Vögel auf ihren langen Zugrouten mehrfach solchen Belastungen ausgesetzt sein könnten. Dadurch könnten die Mittel einen starken Effekt auf die Population haben. Auch ein emeritierter Forscher des Max-Planck-Instituts für Ornithologie hielt Neonicotinoide laut RiffReporter.de für eine mögliche Erklärung der schrumpfenden Zugvogel-Populationen. Und ein vom Standard wiedergegebener Mitarbeiter der Schweizerischen Vogelwarte Sempach äußerte sich pessimistisch bezüglich eines Verbots der Neonicotinoide: Andere und neue Pflanzenschutz-Mittel würden ebenso Nebenwirkungen mit sich bringen. Ebenso wies ein Experte des Max-Planck-Instituts für Verhaltensbiologie laut der Süddeutschen Zeitung darauf hin, dass die intensive Landwirtschaft an sich das Grundproblem für die Vögel sei. Außerdem hat die Süddeutsche Zeitung eine Mitarbeiterin des Michael-Otto-Instituts des Naturschutzbundes Deutschland (NABU) zitiert. Sie hielt es für möglich, dass die Insektizide sich in der Nahrungskette anreicherten. Schließlich ist in der dpa-Meldung noch die Einschätzung eines Referenten des NABU wiedergegeben worden. Ihm zufolge sollte auch das Pflanzenschutzmittel Thiacloprid untersucht werden.

Steckbrief

Journal: Science

Pressemitteilungen: Ja (von der Fachzeitschrift)

Aufgegriffen von:

  • sda: Aargauer Zeitung online (12.09.2019), Wiener Zeitung online (12.09.2019), Nau.ch (13.09.2019)
  • science.ORF.at (12.09.2019)
  • Spektrum.de (12.09.2019)
  • Deutschlandfunk Forschung Aktuell (13.09.2019)
  • Deutschlandfunk Nova (13.09.2019)
  • dpa: Spiegel online (13.09.2019)
  • RiffReporter.de (13.09.2019)
  • scinexx.de (13.09.2019)
  • Standard Online (13.09.2019)
  • Süddeutsche Zeitung Online (13.09.2019)

 

Fallstudie: Einseitige Ernährung mit Fast Food könnte Blindheit verursacht haben (Annals of Internal Medicine)

Eine laut Selbstauskunft jahrelange Ernährung aus Pommes, Kartoffelchips und Weißbrot, ergänzt durch gelegentlichen Schinkenkonsum, hat aus Sicht von Ärzt*innen des Bristol Eye Hospitals einen 17-jährigen Mann teils erblinden lassen. Der Sehnerv sei dauerhaft geschädigt und die Sehstörungen daher wohl permanent. Der Mann habe schon im Alter von 14 Jahren einen Mangel an Vitamin B12 diagnostiziert bekommen, der auch mit 17 noch bestand. Zudem seien Vitamin-D-Spiegel, Kupfer- und Selenwerte sehr niedrig und der Zinkwert erhöht gewesen. Ursache für die einseitige Ernährung sei vermutlich eine restriktive Essstörung. Die Fallstudie ist am 03.09.2019 im Fachblatt Annals of Internal Medicine veröffentlicht worden2.

Mindestens 17 Mal ist von deutschsprachigen Medien unabhängig voneinander über die Studie berichtet worden. Tenor der meisten Artikel: Der ausschließliche Konsum von Junk Food hat einen Jungen erblinden lassen. Dagegen haben die dpa und ein Artikel in der Welt am Sonntag sich kritisch gegenüber dieser Darstellung gezeigt: Sie haben zwei an der Studie unbeteiligte Experten zitiert, die Zweifel an den gezogenen Schlussfolgerungen äußerten. Der Experte des Deutschen Instituts für Ernährungsforschung in Potsdam hielt es nicht für wahrscheinlich, dass die Ernährung des Jungen verantwortlich gewesen ist. Die meisten Vitaminwerte hätten sich im Normalbereich bewegt. Eventuell seien die Vitamine jedoch körperlich nicht verwertbar gewesen. Und der Experte der Deutschen Gesellschaft für Ernährungsmedizin meinte, es sei schon bekannt, dass eine langfristige Mangelernährung den Sehnerv schädigen könne, insbesondere in Verbindung mit Alkoholkonsum. Im vorliegenden Fall könnten aber auch genetische Ursachen verantwortlich sein.

Steckbrief

Journal: Annals of Internal Medicine 

Pressemitteilungen: Nein

Aufgegriffen von:

  • aerzteblatt.de (03.09.2019)
  • Deutschlandfunk Nova (03.09.2019)
  • Nau.ch (03.09.2019)
  • Spiegel Online (03.09.2019)
  • Tagesspiegel Online (03.09.2019)
  • Berliner Zeitung Online (04.09.2019)
  • Bunte.de (04.09.2019)
  • Business Insider Deutschland (04.09.2019)
  • dpa: Frankfurter Ärzte Zeitung online (04.09.2019), Allgemeine Zeitung online (04.09.2019),  Focus online (04.09.2019), N-tv.de (04.09.2019), Rheinische Post online (04.09.2019), Stuttgarter Nachrichten online (04.09.2019), Hamburger Abendblatt online (05.09.2019), Süddeutsche Zeitung online (04.09.2019)
  • Standard Online (04.09.2019)
  • Stern Online (04.09.2019)
  • Welt (04.09.2019)
  • Kurier.at (05.09.2019)
  • Brigitte Online (08.09.2019)
  • Welt am Sonntag (08.09.2019)
  • inFranken.de (11.09.2019)
  • Focus Online (18.09.2019)

*Protokoll: Hendrik Boldt

 

Die Vorhersage der Auswahl von Themen seitens der Journalisten gleicht dem täglichen Blick in die Glaskugel. Haben Journalisten das entsprechende Fachjournal auf dem Schirm? Werden sie das Thema aufgreifen und berichten? Wenn ja: mit welchem Dreh? Wenn nein: Kann es sein, dass wichtige entscheidungsrelevante Forschungsergebnisse, über die berichtet werden sollte, übersehen werden? Im Science Media Newsreel dokumentiert das Team des SMC einmal pro Woche rückblickend die kongruenten Wissenschaftsthemen, die aus namentlich genannten Fachzeitschriften in Presseerzeugnissen und Internetangeboten aufgegriffen wurden. Erwähnt werden nur solche Themen, die bei unserem zugegeben unvollständigen Monitoring in mehr als fünf unterschiedlichen Redaktionen mit textlich nicht identischen Berichten aufgegriffen wurden.

2 Obgleich die Studie schon in der vorherigen Woche erschienen ist, tauchten erst in der Woche vom 09.09 bis 15.09. in unserem Newsreel die entsprechenden Treffer für eine Story auf. Daher ist im vorherigen Newsreel (No. 65) noch nicht darüber berichtet worden.