Wann kommt ein Impfstoff gegen Chlamydien? Können Exoskelette uns eines Tages flexibel bei verschiedenen Tätigkeiten unterstützen? Welchen Anteil hat Fracking am Anstieg des Treibhausgases Methan? Wie viel Mikroplastik ist in der Luft? Science Media Newsreel No. 62 (12.08. bis 18.08.2019)
Veröffentlicht am 6. September 2019 von Redaktion Hinterlasse einen KommentarEin Wochenrückblick des Science Media Center, über welche Forschungsergebnisse viele Wissenschaftsjournalisten zeitnah berichten:
Chlamydien-Impfung laut Phase-1-Studie sicher (The Lancet)
Im Versuch mit einer kleinen Gruppe von Probandinnen hat sich ein neuer Chlamydien-Impfstoff sowohl als gut verträglich bewährt, als auch eine messbare Immunreaktion hervorgerufen. In einer Phase-1-Studie ist er an je 15 gesunden Frauen zusammen mit dem Wirkverstärker Aluminiumhydroxid beziehungsweise zusammen mit dem Adjuvans CAF01 getestet worden. Fünf weitere Frauen haben einen Placebo erhalten. Als nächstes wollen die Wissenschaftler*innen des Imperial College London und des dänischen Statens Serum Instituts nun in einer Phase-2-Studie untersuchen, ob die durch den Wirkstoff hervorgerufene Immunreaktion tatsächlich vor Chlamydien schützt. Die Studie ist am 12.08.2019 im Fachblatt The Lancet veröffentlicht worden.
Mindestens zehn Mal haben deutschsprachige Medien unabhängig voneinander über die Publikation berichtet. Dabei sind vielfach unbeteiligte Expert*innen aus den vom Science Media Center Germany (SMC) bereitgestellten Statements zitiert worden. Der Experte des Universitätsklinikums Essen ist von der Deutschen Welle und Zeitungen der Funke Mediengruppe wiedergegeben worden. Kondome würden seltener genutzt, es gebe mehr anonyme Sexualkontakte über das Internet, deshalb stiegen die Zahlen an sexuell übertragbaren Infektionen. Eine Impfung gegen Chlamydien würde entscheidend zur Eindämmung des Bakteriums Chlamydia trachomatis beitragen. Laut dem Experten des Universitätsklinikums Freiburg, dessen Meinung von Zeitungen der Funke Mediengruppe, Forschung-und-Wissen.de, scinexx.de und dem Standard aufgenommen worden ist, seien die Ergebnisse vielversprechend. Es könne allerdings noch mindestens fünf bis zehn Jahre dauern, bis der Impfstoff verfügbar sei. Außerdem müsse in weiteren Studien noch dessen Wirksamkeit bewiesen werden. Die Deutsche Welle und der Standard haben schließlich noch die Expertin des Robert Koch-Instituts aus den SMC-Statements zitiert. Demnach seien die gute Verträglichkeit und die gefundene Immunantwort zwar positiv, allerdings müsse die Wirksamkeit erst noch bewiesen werden. Wann ein Impfstoff verfügbar sei, sei nicht absehbar.
Steckbrief
Journal: The Lancet
Pressemitteilungen: Ja (von der Fachzeitschrift)
Aufgegriffen von:
- Deutsche Welle (12.08.2019)
- aerzteblatt.de (13.08.2019)
- Ärzte Zeitung (13.08.2019)
- Deutschlandfunk Forschung Aktuell (13.08.2019)
- scinexx.de (13.08.2019)
- Funke Mediengruppe: Thüringische Landeszeitung (14.08.2019), Westdeutsche Allgemeine Zeitung (14.08.2019), Wolfsburger Nachrichten (14.08.2019)
- Pharmazeutische Zeitung Online (14.08.2019)
- Standard Online (14.08.2019)
- BR.de (17.08.2019)
- Forschung-und-Wissen.de (18.08.2019)
Relativ leichtes Exoskelett unterstützt sowohl beim Gehen als auch beim Laufen (Science)
Neun Prozent beim Gehen, vier Prozent beim Laufen – so viel Energie haben Menschen im Test durch die Hilfe eines neu entwickelten Exoskeletts eingespart. Das Skelett wiegt mit etwa fünf Kilogramm vergleichsweise wenig. An Hüfte und Oberschenkeln befestigt erleichtert es in den richtigen Momenten die Streckung der Hüfte. Ein Algorithmus erkennt anhand von Sensoren am Oberschenkel, ob der Träger geht oder läuft und passt dementsprechend die Unterstützung an. Bisherige Modelle konnten entweder ausschließlich beim Gehen oder beim Laufen unterstützen, da die Bewegungen sich deutlich voneinander unterscheiden. Die Wissenschaftler*innen der Harvard University und der südkoreanischen Chung-Ang Universität haben ihre Ergebnisse am 16.08.2019 im Fachblatt Science veröffentlicht.
Mindestens acht Mal ist von deutschsprachigen Medien unabhängig voneinander über die Publikation berichtet worden. Kongruent ist hervorgehoben worden, der größte Vorteil des neuen Exoskeletts sei die Tatsache, dass es flexibel sowohl Gehen als auch Laufen unterstützen könne. Beim Spiegel ist ein an der Studie unbeteiligter Experte der US-amerikanischen Northwestern University aus einem zeitgleich bei Science veröffentlichten Kommentar zitiert worden. Ihm zufolge würden Exoskelette immer kleiner und flexibler. Eines Tages seien sie direkt über das menschliche Nervensystem steuerbar.
Steckbrief
Journal: Science
Pressemitteilungen: Ja (vom Fachjournal), vom Forschungsinstitut)
Aufgegriffen von:
- Spektrum.de (15.08.2019)
- Deutschlandfunk Nova (16.08.2019)
- Spiegel Online (16.08.2019)
- Standard Online (16.08.2019)
- Tagesspiegel Online (Video) (16.08.2019)
- AFP: Mobilegeeks.de (17.08.2019)
- computer-automation.de (21.08.2019)
- Frankfurter Allgemeine Zeitung Online (22.08.2019)
Ein Großteil des aktuellen Anstiegs der Methanemissionen stammt laut Studie aus der Schiefergas-Produktion – andere Experten widersprechen (Biogeosciences)
Etwa ein Drittel des Anstiegs der globalen Methanemissionen der letzten Jahre ist durch die nordamerikanische Schiefergas-Produktion in die Atmosphäre gelangt. Dies ist das Fazit der Studie eines Wissenschaftlers der US-amerikanischen Cornell University, die am 14.08.2019 im Fachblatt Biogeosciences erschienen ist. Damit widerspricht sie den Ergebnissen anderer Publikationen, die den Anstieg auf biogene Quellen wie tropische Feuchtgebiete, Reis-Anbaugebiete oder die Viehwirtschaft zurückgeführt hatten. Ein Grund für die neuen Ergebnisse: Methan liegt sowohl mit schweren C-13 Kohlenstoff Isotopen, als auch in der leichteren C-12 Variante vor. Der Anteil hat sich in letzter Zeit von C-13 zu C-12 verschoben. Normalerweise stammt C-12 eher aus biogenen Quellen, konventionell gewonnenes Gas dagegen würde für mehr C-13 sorgen. Somit sei bislang davon ausgegangen worden, der Anstieg könne nichts mit der Schiefergas-Gewinnung zu tun haben, so der Studienautor. Diese Annahme sei allerdings für das unkonventionell durch Fracking gewonnene Schiefergas falsch. Es habe einen erhöhten Anteil an C-12. Beziehe man das Schiefergas nun korrekt in die Berechnungen ein, so sei es deutlich relevanter für die Methanemissionen als bisher vermutet. Aus Sicht des Wissenschaftlers sollte deshalb die Gasförderung rasch reduziert werden.
Mindestens sechs Mal haben deutschsprachige Medien unabhängig voneinander über die Studie berichtet. Die zentrale Konklusion der Studie, wonach der amerikanische Schiefergas-Boom eine gewichtige Ursache für den Methananstieg ist, ist vielfach kritisiert, aber auch gelobt worden. So hat die Neue Zürcher Zeitung einen Wissenschaftler der Nichtregierungsorganisation Environmental Defense Fund um Einschätzung gebeten. Demnach gebe es mehrere Fehler in der neuen Publikation. Bestimmte Zahlen aus früheren Studien seien schlicht falsch interpretiert worden. Zudem sei eine andere Studie zur Methanemission der Schiefergas-Produktion ignoriert worden. Dadurch sei in der neuen Studie der Einfluss des Schiefergases deutlich höher eingeschätzt worden als von anderen Expert*innen. Ein vom Deutschlandfunk zitierter Experte der englischen University of Manchester bezweifelte ebenfalls, ob die fossilen Emissionsquellen tatsächlich so wichtig seien. Er selbst sei durch eigene Forschungen sicher, dass es in den afrikanischen Tropen große Feuchtgebiete mit aufgrund des Klimawandels steigenden Methanemissionen gebe. Etwas positiver äußerte sich ein Experte des neuseeländischen National Institute of Water and Atmospheric Research. Laut dem Spiegel hielt er das Argument und die Berechnungen der Studie für überzeugend. Neue Satellitendaten widersprächen allerdings der Konklusion, denn sie zeigten keinen großen Anstieg der Methanemissionen über Nordamerika. Auch ein Wissenschaftler des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung in Magdeburg meinte laut dem Göttinger Tageblatt, man müsse die Studienergebnisse ernst nehmen, aber die Hypothesen müssten nun durch konkrete Messungen geprüft werden. Außerdem zitierte das Tageblatt einen Experten des Karlsruher Instituts für Technologie, der die Studienergebnisse willkommen hieß. Demnach sei die Studie hervorragend, beziehe alle wichtigen bisherigen Studien mit ein. Die Konklusion sei viel plausibler, als die These, dass das zusätzliche Methan hauptsächlich aus biogenen Quellen stamme.
Steckbrief
Journal: Biogeosciences
Pressemitteilungen: Ja (von der Fachzeitschrift)
Aufgegriffen von:
- Deutschlandfunk Forschung Aktuell (14.08.2019)
- Spiegel Online (14.08.2019)
- MDR.de (15.08.2019)
- Neue Zürcher Zeitung Online (15.08.2019)
- Göttinger Tageblatt (16.08.2019)
- Wissenschaft.de (16.08.2019)
Mikroplastik reist mit der Luft bis in die Arktis (Science Advances)
Untersuchungen arktischen Schnees haben ergeben, dass sich darin bis zu 14.400 Mikroplastik-Partikel pro Liter befinden. Das ist zwar deutlich weniger, als in bayerischen Schneeproben, in denen – wohl aufgrund der Nähe zu befahrenen Straßen – bis zu 154.000 Partikel pro Liter gefunden worden sind. Da es aber in der Arktis keine nahe Quelle für Mikroplastik gebe, schlussfolgern die Wissenschaftler*innen des Alfred-Wegener-Instituts in Bremerhaven, dass das Plastik über die Atmosphäre in die Arktis transportiert worden ist. Der Schnee habe es aus der Luft aufgenommen. Außerdem sei in beiden Proben die Menge an Partikeln höchstwahrscheinlich noch unterschätzt worden. Der Grund: Die Partikel sind nur bis zu einer Größe von minimal elf Mikrometern messbar gewesen. Gerade im Bereich knapp oberhalb dieser Grenze seien jedoch sehr viele Partikel gefunden worden. Aus Sicht der Forscher*innen sollte stärker erforscht werden, inwiefern durch die Luft aufgenommenes Mikroplastik für Menschen gefährlich sein könnte.
Mindestens sechszehn Mal haben deutschsprachige Medien unabhängig voneinander über die Studie berichtet. Tenor der Berichterstattung: Mikroplastik ist in der Luft und wir wissen nicht, inwiefern das für uns schädlich ist. Der Tagesspiegel hat einen an der Studie unbeteiligten Umweltmediziner des Umweltbundesamts zitiert. Demnach seien noch viele Fragen offen, was die Gesundheitseffekte des atmosphärischen Mikroplastik angehe. Weitere unbeteiligte Expert*innen sind nicht medial zu Wort gekommen. Ein Studienautor ist vom Schweizer Rundfunk und Fernsehen interviewt worden.
Steckbrief
Journal: Science Advances
Pressemitteilungen: Ja (von der Fachzeitschrift, vom Forschungsinstitut)
Aufgegriffen von:
- AFP (14.08.2019): Neue Osnabrücker Zeitung online (14.08.2019); äquivalent APA: Standard online (15.08.2019); äquivalent SDA: Basler Zeitung online (15.08.2019)
- dpa (14.08.2019): Bonner General-Anzeiger (14.08.2019), N-tv.de (14.08.2019), Ärzte Zeitung online (15.08.2019), Berliner Zeitung (15.08.2019), Hamburger Abendblatt (16.08.2019), Kölner Stadt-Anzeiger (16.08.2019), Sächsische Zeitung Dresden (17.08.2019)
- (dpa+AFP: Spiegel Online (14.08.2019), t-online (14.08.2019))
- Frankfurter Allgemeine Zeitung Online (14.08.2019)
- SWR.de (14.08.2019)
- Tagesschau (14.08.2019)
- Wiener Zeitung (14.08.2019)
- Wissenschaft.de (14.08.2019)
- Zeit Online (14.08.2019)
- Business Insider Deutschland (15.08.2019)
- Deutschlandfunk Forschung Aktuell (15.08.2019)
- Frankfurter Rundschau (15.08.2019)
- NDR (15.08.2019)
- Welt Online (15.08.2019)
- SRF News Aktuell (15.08.2019)
- Stern Online (Video) (15.08.2019)
- Tagesspiegel (15.08.2019)
*Protokoll: Hendrik Boldt
*Die Vorhersage der Auswahl von Themen seitens der Journalisten gleicht dem täglichen Blick in die Glaskugel. Haben Journalisten das entsprechende Fachjournal auf dem Schirm? Werden sie das Thema aufgreifen und berichten? Wenn ja: mit welchem Dreh? Wenn nein: Kann es sein, dass wichtige entscheidungsrelevante Forschungsergebnisse, über die berichtet werden sollte, übersehen werden? Im Science Media Newsreel dokumentiert das Team des SMC einmal pro Woche rückblickend die kongruenten Wissenschaftsthemen, die aus namentlich genannten Fachzeitschriften in Presseerzeugnissen und Internetangeboten aufgegriffen wurden. Erwähnt werden nur solche Themen, die bei unserem zugegeben unvollständigen Monitoring in mehr als fünf unterschiedlichen Redaktionen mit textlich nicht identischen Berichten aufgegriffen wurden.