Kann Künstliche Intelligenz Herzstörungen trotz eines unauffälligen EKG erkennen? Könnten 3-D Drucker eines Tages funktionierende Organe drucken? Science Media Newsreel No. 61 (05.08. bis 11.08.2019)
Veröffentlicht am 6. September 2019 von Redaktion Hinterlasse einen KommentarEin Wochenrückblick des Science Media Center, über welche Forschungsergebnisse viele Wissenschaftsjournalisten zeitnah berichten.
Eine kurze Anmerkung vorweg: Beide diese Woche berichteten Fachartikel sind schon vor dem 05.08. erschienen. Sie sind allerdings erst im Newsreel zur Woche vom 05.08. bis 11.08. aufgetaucht und haben auch erst dann medial eine nach unseren Kriterien ausreichende Berichterstattung generiert. Deshalb werden sie in diesem und nicht im vorherigen Newsreel berichtet.
Künstliche Intelligenz erkennt Vorhofflimmern trotz für Ärzte unauffälligen EKG (The Lancet)
In 79 Prozent der Fälle, in denen tatsächlich ein Vorhofflimmern vorgelegen hat, hat eine Künstliche Intelligenz dieses erkannt. Und das, obwohl das vorgelegte Elektrokardiogramm einen aus Sicht von Ärzt*innen normalen Herzrhythmus dargestellt hat. Auch die tatsächlich Gesunden hat die KI in 79,5 Prozent der Fälle korrekt als gesund eingestuft. Anhand welcher Anzeichen im – in beiden Fällen – augenscheinlich normalen EKG der Algorithmus diese Bewertungen vorgenommen hat, ist unklar. Die Wissenschaftler*innen der US-amerikanischen Mayo Klinik hatten die KI mit Daten von 18.000 Patient*innen trainiert. Das Programm soll auf dem Smartphone funktionieren und kostengünstig anwendbar sein. Es könnte helfen, um Schlaganfälle zu verhindern. Die Studie ist am 01.08.2019 im Fachblatt The Lancet veröffentlicht worden.
Mindestens sechs Mal haben deutschsprachige Medien unabhängig voneinander über die Studie berichtet. Das Science Media Center Germany (SMC) hat drei an der Studie unbeteiligte Experten interviewt. Der Experte der Medizinischen Universität Innsbruck glaubte, die Arbeit zeige als eine der ersten, wie KI mittelfristig für kardiovaskuläre Medizin im klinischen Alltag Routine werden könnte. Die mangelnde Erklärbarkeit der von der KI getroffenen Entscheidungen bemängelte der Experte der Charité – Universitätsmedizin Berlin. Zugleich zeige die Arbeit das enorme Potenzial der KI. Und angesichts des weit verbreiteten, unbemerkten Vorhofflimmerns unterstrich der Experte des Universitätsklinikums Eppendorf die zentrale Bedeutung des Ansatzes und der Ergebnisse der Studie. Bei heise online sind alle drei Experten aus den SMC-Statements zitiert worden. Nau.ch hat wiederrum diese Expertenmeinungen aus dem Artikel bei heise online zitiert. Auch die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) könnte – dem Inhalt der Statements nach zu urteilen – die vom SMC befragten Experten wiedergegeben haben. Da die NZZ aber nur von an der Studie unbeteiligten Forschern spricht, ohne diese näher zu benennen, ist das nicht verifizierbar.
Steckbrief
Journal: The Lancet
Pressemitteilungen: Ja (von der Fachzeitschrift)
Aufgegriffen von:
- Neue Zürcher Zeitung Online (02.08.2019)
- heise online (03.08.2019)
- Nau.ch (04.08.2019)
- Ärzte Zeitung online (06.08.2019)
- aerzteblatt.de (07.08.2019)
- Frankfurter Allgemeine Zeitung Online (17.08.2019)
Neues Verfahren ermöglicht präziseren Organdruck: Gedruckte Herzkammer kann sich zusammenziehen (Science)
Mit der leicht abgewandelten „FRESH“-Methode haben Wissenschaftler*innen der US-amerikanischen Carnegie Mellon University Organstrukturen deutlich genauer drucken können, als dies bisher der Fall gewesen ist. Im „FRESH“-Verfahren werden die den Organen zugrunde liegenden Kollagenstrukturen in einem speziellen Gel gedruckt, welches die Strukturen beim Drucken stabilisiert. So wird verhindert, dass das flüssige Kollagen schnell zusammensackt. Nun ist das Verfahren leicht abgewandelt worden, indem der PH-Wert während des Druckens variiert worden ist. Damit ist gesteuert worden, wie schnell das Kollagen fest wird. Die gedruckten Fasern konnten so bis zu 20 Mikrometer dünn hergestellt werden und damit zehn Mal dünner als beim alten FRESH-Verfahren. Die feinen Strukturen von Organen drucken zu können, ist wichtig, um sie tatsächlich funktionieren und nicht nur wie die Originale aussehen zu lassen. Als Machbarkeitsbeweis haben die Forscher*innen eine Herzkammer gedruckt, die synchron schlagen konnte. Ihre Studie ist am 02.08.2019 im Fachblatt Science erschienen.
Mindestens acht Mal haben deutschsprachige Medien unabhängig voneinander über die Studie berichtet. Kongruent ist berichtet worden, dass besonders eine detaillierte Nachbildung der Organe relevant sei, damit sie funktionierten. Mit dem neuen Verfahren käme man dem deutlich näher. An der Studie unbeteiligte Expertinnen der US-amerikanischen Tufts University sind in der dpa-Meldung sowie beim Spiegel aus einem zeitgleich zur Studie in Science erschienenen Begleitkommentar zitiert worden. Laut ihnen müsse man mindestens einen Mikrometer kleine Strukturen herstellen können, um die extrazelluläre Matrix von Organen in ihrer ganzen Komplexität zu reproduzieren. Dennoch sei das neue Verfahren sehr nützlich. Es eigne sich im Gegensatz zu anderen Methoden außerdem nicht nur für Kollagen-Drucke, sondern auch für andere Biomaterialien wie etwa Fibrinogen, Alginat und Hyaluronsäure, die simultan gedruckt werden könnten.
Steckbrief
Journal: Science
Pressemitteilungen: Ja (vom Fachjournal, vom Forschungsinstitut)
Aufgegriffen von:
- Wissenschaft.de (01.08.2019)
- AFP (02.08.2019): Tagesspiegel (02.08.2019), Frankfurter Neue Presse (03.08.2019)
- Deutschlandfunk Nova (02.08.2019)
- Futurezone.de (02.08.2019)
- dpa: N-tv.de (05.08.2019), Welt Online (06.08.2019), Berliner Zeitung (07.08.2019), Kölner Stadt-Anzeiger (12.08.2019)
- Redaktionsnetzwerk Deutschland: Göttinger Tageblatt (05.08.2019), Hannoversche Allgemeine Zeitung (05.08.2019), Kieler Nachrichten (05.08.2019)
- Spiegel Online (05.08.2019)
- Frankfurter Allgemeine Zeitung (18.08.2019)
*Protokoll: Hendrik Boldt
1Die Vorhersage der Auswahl von Themen seitens der Journalisten gleicht dem täglichen Blick in die Glaskugel. Haben Journalisten das entsprechende Fachjournal auf dem Schirm? Werden sie das Thema aufgreifen und berichten? Wenn ja: mit welchem Dreh? Wenn nein: Kann es sein, dass wichtige entscheidungsrelevante Forschungsergebnisse, über die berichtet werden sollte, übersehen werden? Im Science Media Newsreel dokumentiert das Team des SMC [https://www.sciencemediacenter.de/] einmal pro Woche rückblickend die kongruenten Wissenschaftsthemen, die aus namentlich genannten Fachzeitschriften in Presseerzeugnissen und Internetangeboten aufgegriffen wurden. Erwähnt werden nur solche Themen, die bei unserem zugegeben unvollständigen Monitoring [http://www.meta-magazin.org/2018/04/04/waehlerische-wissenschaftsjournalisten/] in mehr als fünf unterschiedlichen Redaktionen mit textlich nicht identischen Berichten aufgegriffen wurden.