Ein Wochenrückblick des Science Media Center über welche Forschungsergebnisse viele Wissenschaftsjournalisten zeitnah berichten:

Perfusionssystem lässt in Schweinehirn einige Zellen Stunden nach dem Tod wieder funktionieren (Nature)

Stunden nach dem Tod ist in mit künstlichem Blut versorgten Gehirnen von sechs bis acht Monate alten Schweinen wieder Zellaktivität festgestellt worden. So ist beispielsweise eine Normalisierung des Stoffwechsels eingetreten. Reaktionen auf Medikamente sind festgestellt worden. Auch der Zelltod der Nervenzellen hat sich verlangsamt. Jedoch sind keine globalen Hirnströme im Elektroenzephalogramm gemessen worden. Ohnehin hatten die Wissenschaftler*innen schon prophylaktisch medikamentös dafür gesorgt, jegliche potentielle Netzwerkaktivität der Nervenzellen zu blockieren. Ihre Studienergebnisse haben die Forscher*innen am 17.05.2019 im Fachblatt Nature veröffentlicht. Für die Untersuchungen sind vier Stunden nach der Tötung von Schweinen im Schlachthaus deren Gehirne entnommen und an eine eigens dafür entwickelte Perfusionsmaschine angeschlossen worden. Diese hat die Gehirne mit einem künstlichen Blut versorgt. Nach sechs Stunden künstlicher Versorgung haben die Forscher*innen ihre Versuche beendet. Sie hoffen, dass ihre Perfusionsmaschine in der Forschung neue Erkenntnisse zur Erholung des Gehirns nach einem Sauerstoffmangel – etwa durch einen Schlaganfall – ermöglichen wird.

Mindestens 22 Mal ist von deutschsprachigen Medien in unterschiedlichen Berichten über die Veröffentlichung geschrieben worden. Viele ausführliche Artikel haben diskutiert, inwiefern die Studie effekthascherisch ist oder tatsächlich wissenschaftlichen Mehrwert liefert. Zudem hat die Publikation Spekulationen darüber angeregt, ob die Wiederbelebung nach einem „scheinbarem“ Hirntod in absehbarer Zeit möglich ist. Dies hat sich besonders in den Überschriften der Artikel niedergeschlagen. Hier ist stellenweise von reaktivierten oder wiederbelebten Gehirnen die Rede gewesen. Die vom Science Media Center Germany (SMC) interviewten, an der Studie unbeteiligten Expert*innen waren sich einig, dass die Hirntod-Definition und die Feststellung des Hirntodes in Deutschland durch die Studie in keiner Art und Weise in Zweifel gezogen wird. Niemand unter ihnen sah einen klinisch relevanten Schritt hin zur tatsächlichen Wiederherstellung der normalen Hirnfunktion und des Bewusstseins getan. Die SMC-Experten der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg und der Berliner Charité haben sich besonders kritisch gegenüber der publizierenden Fachzeitschrift Nature geäußert. Diese sei sensationsheischend und hätte die Studie angenommen, weil sie spektakulär wirke. Laut dem Experten der Charité hätte die Studie es nicht einmal verdient gehabt, bei Nature publiziert zu werden: Keinerlei neue Erkenntnisse seien gewonnen worden und die Behauptung, es sei ein Schritt zur Wiederherstellung von Hirnfunktionen getan, sei falsch. Zudem sei die Versuchsdauer von sechs Stunden zu kurz gewesen. Obgleich sich die SMC-Expert*innen der Uniklinik Köln, des Universitätsklinikums Tübingen, der Christian-Albrechts-Universität Kiel und des Vivantes Klinikum in Friedrichshain weniger kritisch äußerten, ist aus ihrer Sicht die Studie eher für die Grundlagenforschung relevant. So bezeichnete der Experte der Uniklinik Köln das verwendete Forschungsmodell als „mächtiges Experimentalsystem“. Allein der emeritierte SMC-Experte des Max-Planck-Instituts für Stoffwechselforschung meinte, die Studie liefere tatsächlich Hinweise, dass auch nach vier Stunden möglicherweise noch wiederbelebt werden könne. Auch er sah jedoch keine direkte Übersetzbarkeit in den klinischen Alltag. Neben den oben genannten hat das SMC zudem noch einen Experten der Universität Mannheim zur Studie befragt. Aerzteblatt.de, der Deutschlandfunk, die dpa, heise online, die Frankfurter Allgemeine Zeitung, die Neue Zürcher Zeitung, der Standard, die Süddeutsche Zeitung und die Welt haben mindestens einmal aus den SMC-Interviews zitiert. Bei watson.de sind außerdem unbeteiligte Expert*innen des US-amerikanischen National Institute of Mental Health, der Universität Oxford und der Universität Edinburgh zu Wort gekommen. Diese waren ähnlich den SMC-Experten der Auffassung, man sei noch weit davon entfernt, tatsächlich Bewusstsein reanimieren zu können. Mit kongruenter Meinung ist der Vorsitzende der Kommission Neurologische Intensivmedizin in der Ärztezeitung wiedergegeben worden: Die Definition des Hirntods müsse nicht verändert werden. Und schließlich haben die Bild, die dpa, die Frankfurter Allgemeine Zeitung, Stern.de und die Süddeutsche Zeitung aus dem parallel zur Studie in der Fachzeitschrift Nature erschienenen Kommentar zweier unbeteiligter Wissenschaftler der amerikanischen Case Western Reserve University zitiert. Diese haben erwogen, inwiefern die Publikation das Kriterien für die Feststellung eines Hirntods – insbesondere im Kontext von Organspenden – verschiebt.

Steckbrief

Journal: Nature

Pressemitteilungen: Ja (vom Forschungsinstitut)

Aufgegriffen von:

  • dpa (17.04.2019): Kieler Nachrichten (18.04.2019), Tagesspiegel Online (17.04.2019), Badische Zeitung (18.04.2019), Fokus Online (18.04.2019)
  • Frankfurter Allgemeine Zeitung (17.04.2019)
  • heise online (17.04.2019)
  • Neue Zürcher Zeitung Online (17.04.2019)
  • ntv.de (17.04.2019)
  • Standard (17.04.2019)
  • aerzteblatt.de (18.04.2019)
  • Ärztezeitung (18.04.2019)
  • Bild.de (18.04.2019)
  • Deutschlandfunk Forschung Aktuell (18.04.2019)
  • Deutschlandfunk Nova (18.04.2019)
  • Die Presse (18.04.2019)
  • Frankfurter Allgemeine Zeitung + (18.04.2019)
  • heise online (18.04.2019)
  • Stern.de (18.04.2019)
  • Süddeutsche Zeitung Online (18.04.2019)
  • watson.de  (18.04.2019)
  • Welt (18.04.2019)
  • Welt Online (18.04.2019)
  • Spiegel + (19.04.2019)
  • taz.de (20.04.2019)
  • Frankfurter Allgemeine Zeitung (28.04.2019)

 

Mikroplastik gelangt durch Atmosphäre auch in entlegene Bergregionen (Nature Geoscience)

Mit atmosphärischen Ablagerungen von durchschnittlich 365 Partikeln pro Quadratmeter täglich haben Wissenschaftler*innen des französischen Forschungsinstituts EcoLab in abgelegenen Teilen der Pyrenäen erstaunlich viel Mikroplastik gefunden. Da vor Ort keine direkten Emissionsquellen existieren, haben sie – unterstützt von Atmosphärenmodellen – darauf geschlossen, dass das Mikroplastik durch die Luft aus bis zu 95 Kilometer entfernten Städten transportiert worden ist. Ihre Messungen haben sie über einen Zeitraum von fünf Monaten in Winter zwischen 2017 und 2018 durchgeführt. Die Ergebnisse sind am 15.04.2019 im Fachblatt Nature Geoscience veröffentlicht worden.

Mindestens neun Mal ist von deutschsprachigen Medien über die Studie berichtet worden. Die vom Science Media Center Germany (SMC) zur Publikation interviewten, unbeteiligten Experten des Leibniz-Instituts für Troposphärenforschung sowie des Helmholtz-Zentrums Geesthacht Zentrum für Material und Küstenforschung sind vielfach zitiert worden. Einzig die Neue Zürcher Zeitung, der Deutschlandfunk und Spektrum haben keine ihrer Aussagen wiedergegeben. In der Neuen Zürcher Zeitung ist stattdessen ein unbeteiligter Experte der Universität Bern zu den Ergebnissen befragt worden. Insgesamt haben alle Experten die Studienergebnisse für plausibel gehalten.

Steckbrief

Journal: Nature Geoscience

Pressemitteilungen: Nein

 

Aufgegriffen von:

  • Neue Zürcher Zeitung (15.04.2019)
  • Spektrum (15.04.2019)
  • Welt (15.05.2019)
  • Deutschlandfunk Forschung Aktuell (16.04.2019)
  • Deutschlandfunk Nova (16.04.2019)
  • dpa: Frankfurter Allgemeine Zeitung (16.04.2019), heise online (16.04.2019), science.ORF.at (16.04.2019) äquivalent APA: Die Presse (16.04.2019)
  • scinexx.de (16.04.2019)
  • Standard (16.04.2019)
  • Süddeutsche Zeitung (16.04.2019)

 

*Protokoll: Hendrik Boldt

 

1Die Vorhersage der Auswahl von Themen seitens der Journalisten gleicht dem täglichen Blick in die Glaskugel. Haben Journalisten das entsprechende Fachjournal auf dem Schirm? Werden sie das Thema aufgreifen und berichten? Wenn ja: mit welchem Dreh? Wenn nein: Kann es sein, dass wichtige entscheidungsrelevante Forschungsergebnisse, über die berichtet werden sollte, übersehen werden? Im Science Media Newsreel dokumentiert das Team des SMC einmal pro Woche rückblickend die kongruenten Wissenschaftsthemen, die aus namentlich genannten Fachzeitschriften in Presseerzeugnissen und Internetangeboten aufgegriffen wurden. Erwähnt werden nur solche Themen, die bei unserem zugegeben unvollständigen Monitoring in mehr als fünf unterschiedlichen Redaktionen mit textlich nicht identischen Berichten aufgegriffen wurden.