Wie stark hängen Psychosen mit dem Cannabiskonsum zusammen? Kann uns eingefrorenes vorpubertäres Hodengewebe vor späterer Unfruchtbarkeit schützen? Science Media Newsreel No. 42 (18.03. bis 24.03.2019)
Veröffentlicht am 2. April 2019 von Redaktion Hinterlasse einen KommentarJe mehr THC im Cannabis, desto mehr Psychosen (The Lancet Psychiatry)
Der tägliche Konsum von Cannabis hat in einer Fall-Kontroll-Studie das Risiko, an einer Psychose zu erkranken, verdreifacht. Handelte es sich um Cannabis mit einem besonders hohen Tetrahydrocannabinol (THC)-Gehalt von mindestens zehn Prozent, so war das Risiko sogar verfünffacht. Wenn hochprozentiger Cannabis nicht mehr konsumiert werden würde, könnten nach Berechnungen zwölf Prozent der Psychosen an den untersuchten Orten vermieden werden. Für Amsterdam beträgt diese Ziffer sogar 50 Prozent. Wo mehr Cannabis konsumiert wird, ist zudem eine insgesamt deutlich erhöhte Psychose-Inzidenz beobachtet worden. Die von Wissenschaftler*innen des Londoner King’s College geleitete Analyse ist am 19.03.2019 im Fachblatt The Lancet Psychiatry veröffentlicht worden. Für ihre Studie haben sie an elf verschiedenen Orten in Europa und Brasilien Proband*innen, bei denen erstmals Psychosen festgestellt worden waren, mit einer Kontrollgruppe vor Ort verglichen. Neben dem Cannabiskonsum haben die Wissenschaftler*innen weitere Risikofaktoren für Psychosen erhoben, um deren Effekte herauszurechnen.
Mindestens neunzehn Mal ist von deutschsprachigen Medien unabhängig voneinander über die Studie berichtet worden. Oftmals ist dabei parallel die mögliche Legalisierung von Cannabis diskutiert worden. Das Science Media Center Germany (SMC) hat vier unbeteiligte Expert*innen zur Studie interviewt. Der SMC-Experte des Universitätsklinikums Eppendorf bewertete die Studienergebnisse als Beleg für die verheerenden Folgen einer Cannabislegalisierung. Auch die SMC-Expertin der Universitätsmedizin Göttingen sprach sich dafür aus, bei einer Legalisierung die Risiken im Auge zu behalten. Zudem machte sie darauf aufmerksam, dass die Studie keinerlei Analysen zur Inzidenz anderer psychischer Störungen vorgenommen hätte, was interessant gewesen wäre. Der SMC-Experte der University of California in San Francisco wies insbesondere darauf hin, dass die Studie – trotz sorgfältiger Durchführung – nicht gänzlich sicher belegen könne, dass tatsächlich der Cannabiskonsum für das höhere Psychoserisiko verantwortlich sei und nicht umgekehrt. Auch der Einfluss des Erbgutes auf das Psychoserisiko sei nicht untersucht worden. Im Lichte der Ergebnisse sollte die Gesellschaft aber vorsichtig mit der Legalisierung sein. Auch die SMC-Expertin des Klinikums der Universität München sah die Frage zum kausalen Zusammenhang mit der Studie noch nicht gänzlich beantwortet. Sie forderte die gezielte Aufklärung der Menschen mit hohem Erkrankungsrisiko über die Gefahren des Cannabiskonsums. Zahlreiche Medien haben Zitate aus den SMC-Interviews entnommen. Lediglich die Frankfurter Allgemeine Zeitung, die Pharmazeutische Zeitung, science.ORF.at, die SonntagsZeitung, Spektrum, der SWR und der Tages-Anzeiger haben dies nicht getan. Außerdem hat die SonntagsZeitung mit einem an der Studie unbeteiligten Experten der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich ein Interview geführt. Das Darmstädter Echo hat einen Experten der Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des Elisabethenstift in Darmstadt zur Studie befragt. Und die dpa, die Pharmazeutische Zeitung, der Spiegel, die Welt sowie die Zeit haben aus einem Kommentar, welches bei The Lancet Psychiatry zur Studie veröffentlicht worden ist, eine Expertin der University of Liverpool zitiert.
Steckbrief
Journal: The Lancet Psychiatry
Pressemitteilungen: Ja (vom Fachjournal)
Aufgegriffen von:
- APA: science.ORF.at (20.03.2019)
- Neue Zürcher Zeitung Online (20.03.2019)
- Pharmazeutische Zeitung (20.03.2019)
- RedaktionsNetzwerk Deutschland: Kieler Nachrichten (20.03.2019)
- Spektrum.de (20.03.2019)
- Süddeutsche Zeitung Online (20.03.2019)
- Tages-Anzeiger (20.03.2019)
- Tagesspiegel (20.03.2019)
- Zeit Online (20.03.2019)
- aerzteblatt.de (21.03.2019)
- dpa: Berliner Zeitung (21.03.2019)
- Spiegel Online (21.03.2019)
- Standard (21.03.2019)
- Tages-Anzeiger (21.03.2019)
- Welt Online (21.03.2019)
- SWR.de (23.03.2019)
- SonntagsZeitung (24.03.2019)
- Frankfurter Allgemeine Zeitung (27.03.2019)
- Darmstädter Echo (28.03.2019)
Spermien aus konserviertem Hodengewebe erlauben unfruchtbarem Makaken, ein Junges zu zeugen (Science)
Erstmals ist es gelungen, aus kryokonserviertem Hodengewebe aus der präpubertären Phase eines Makaken nach einer autologen Transplantation Spermien zu gewinnen, mit denen ein Affenkind gezeugt werden konnte. Zunächst ist unreifes Hodengewebe vor Beginn der Pubertät entnommen und eingefroren worden. Dann ist der Affe kastriert worden. Im nächsten Schritt ist ihm sein eigenes Hodengewebe wieder verpflanzt worden. Es entwickelten sich Spermien, die die Forscher*innen entnehmen konnten. Von 138 künstlich damit befruchteten Eizellen ist letztlich eine erfolgreich zu einem Affenbaby gereift. Ein ähnliches Verfahren könnte bei Menschen sicherstellen, dass trotz Verlustes der Fruchtbarkeit als Nachwirkung früher medizinischer Eingriffe dennoch eines Tages Kinder gezeugt werden können. Besonders relevant ist dies für sehr junge Patienten in der Chemo- und Strahlentherapie. Hier gilt: Rund ein Drittel der Überlebenden wird später unfruchtbar, jedoch sind bei ihnen noch keine Spermien zur Entnahme und Kryokonservierung vor Therapiebeginn existent. Sie wären auf das mögliche neue Verfahren angewiesen. Ihren Machbarkeitsbeweis haben die Wissenschaftler*innen der Universität von Pittsburgh am 21.03. 2019 im Fachblatt Science veröffentlicht.
Mindestens sieben Mal haben deutschsprachige Medien unabhängig voneinander über die Studie berichtet. Das Science Media Center Germany (SMC) hat an der Studie unbeteiligte Expert*innen des Universitätsklinikums Münster, der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München sowie der Saint Luc Universitätsklinik Brüssel zur Studie befragt. Die Expert*innen des Universitätsklinikums Münster meinten, bald könnten klinische Versuche auch an Menschen beginnen. Der Experte der LMU zeigte sich dagegen zurückhaltender. Jahrelange Forschung sei noch von Nöten, etwa, um zu garantieren, dass die so gezeugten Kinder tatsächlich gesund seien. Alle hier gelisteten Medien bis auf Deutschlandfunk Nova und die Neue Zürcher Zeitung haben aus den SMC-Interviews zitiert. Die Neue Zürcher Zeitung hat außerdem die auch vom SMC befragten Expert*innen des Universitätsklinikums Münster aus einem ebenfalls bei Science veröffentlichten Begleitkommentar zur Studie zitiert. Und sie hat eine Expertin des Universitäts-Kinderspitals beider Basel um Einschätzung gebeten.
Steckbrief
Journal: Science
Pressemitteilungen: Ja (vom Forschungsinstitut, vom Forschungsinstitut)
Aufgegriffen von:
- dpa: RedaktionsNetzwerk Deutschland (21.03.2019: Kieler Nachrichten), Tagesspiegel (22.03.2019)
- Neue Zürcher Zeitung Online (21.03.2019)
- Deutschlandfunk Forschung Aktuell (22.03.2019)
- Deutschlandfunk Nova (22.03.2019)
- scinexx.de (22.03.2019)
- Spiegel Online (22.03.2019)
- aerzteblatt.de (25.03.2019)
*Protokoll: Hendrik Boldt