Ein Wochenrückblick des Science Media Center, über welche Forschungsergebnisse viele Wissenschaftsjournalisten zeitnah berichten. Zunächst noch eine kurze Vorbemerkung: Das Newsreel hat zuletzt eine Woche pausiert – weil vom 20.01.2019 bis 27.01.2019 über keine Wissenschaftspublikation so oft berichtet wurde, dass es unsere Kriterien für das Newsreel erfüllt hätte. Mehr dazu, wann wir einen Fachartikel und die entsprechende mediale Berichterstattung hier besprechen, finden Sie in der Fußnote unten.

E-Zigaretten entwöhnen Raucher*innen in randomisierter Studie effektiver als andere Mittel (The New England Journal of Medicine)

Doppelt so viele Proband*innen einer Studie haben mit dem Rauchen aufgehört, wenn sie E-Zigaretten anstatt herkömmlicher Nikotinersatzmittel wie zum Beispiel Nikotinpflaster benutzt haben. Im Ergebnis haben 18 Prozent aus der E-Zigarettengruppe für mindestens ein Jahr mit dem Rauchen von Tabak aufgehört. In der anderen Gruppe sind dagegen nur 9.9 Prozent abstinent geworden. Dafür sind 80 Prozent der Abstinenten aus der E-Zigarettengruppe weiterhin nikotinabhängig geblieben und haben E-Zigaretten konsumiert. Dagegen sind lediglich neun Prozent der Abstinenten aus der anderen Gruppe nikotinabhängig geblieben. Ihre Studie haben die Wissenschaftler*innen der Queen Mary University of London am 30.01.2019 im Fachblatt The New England Journal of Medicine veröffentlicht. Die 886 Proband*innen waren allesamt gewillt, mit dem Rauchen aufzuhören. Sie waren von den Wissenschaftler*innen randomisiert entweder den herkömmlichen Nikotinersatzmitteln oder den E-Zigaretten zugeteilt worden. Zudem hatten alle Proband*innen mindestens für die ersten vier Wochen begleitende wöchentliche Arzttermine erhalten.

Mindestens zehn Mal haben deutschsprachige Medien unabhängig voneinander über die Studie berichtet. Dabei sind zahlreiche unbeteiligte Expert*innen zitiert worden. Das Science Media Center Germany (SMC) hat vier Expert*innen interviewt, deren Aussagen zahlreich in der Berichterstattung aufgegriffen worden sind. So hat jeder hier gelistete Artikel mindestens einmal aus den SMC-Interviews zitiert. Die befragten SMC-Expert*innen sind zu unterschiedlichen Bewertungen der Veröffentlichung gelangt. So begrüßte der Experte der Frankfurt University of Applied Science die Studie besonders und kritisierte, in Deutschland werde die Option, E-Zigaretten als Rauchstopp-Methode zu nutzen, zu wenig beachtet. Der Experte der Universität Heidelberg meinte, die Studie sei zwar methodisch sauber, aber in der Realität könnten E-Zigaretten aus vielen Gründen dennoch schlechter geeignet sein als andere Entwöhnungsmittel. Der Experte der Maastricht University bezeichnete die Studie zwar als Meilenstein, hielt aber weiter für unklar, wie viele Menschen tatsächlich E-Zigaretten nutzen würden, um mit dem Rauchen aufzuhören und wie schädigend der Konsum von E-Zigaretten langfristig sei. Die Expertin des Deutschen Krebsforschungszentrums in Heidelberg trauten der Studie zu, Einfluss auf eine mögliche Revision der Richtlinien für Rauchstopp-Therapien in Deutschland zu haben. Dafür müsste ihrer Meinung nach allerdings insbesondere die Übertragbarkeit vom britischen Kontext in den deutschen gegeben sein. Neben SMC-Expert*innen zitierten der Tages-Anzeiger, science.ORF.at und scinexx.de zwei Expert*innen der Boston University aus dem Begleiteditorial zur Studie. Bei scinexx.de kam außerdem ein Experte des University College London zu Wort. Der Tagesspiegel interviewte je einen Experten des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit in Mannheim und der Charité in Berlin zur Veröffentlichung. Und der Tages-Anzeiger zitierte einen Experten der Universität Bern. Unter den weiteren Expert*innen gab es, ähnlich wie bei den SMC-Expert*innen, zwei grundsätzliche Richtungen, die Studie zu bewerten. Entweder wurde skeptisch hinterfragt, ob die Studie gut genug in die Realität übertragbar sei und ob mögliche Vorteile die möglichen Gefahren des E-Zigarettenkonsums aufwögen. Oder die Studie wurde als starker Beleg für die therapeutischen Potentiale von E-Zigaretten betrachtet.

Steckbrief

Journal: The New England Journal of Medicine

Pressemitteilungen: Ja (vom Forschungsinstitut)

Aufgegriffen von:

  • science.ORF.at (31.01.2019)
  • scinexx.de (31.01.2019)
  • Standard Online (31.01.2019)
  • Süddeutsche Zeitung Online (31.01.2019)
  • SWR.de (31.01.2019)
  • Tagesspiegel Online (31.01.2019)
  • Zeit Online (31.01.2019)
  • aerzteblatt.de (01.02.2019)
  • Stern.de (01.02.2019)
  • Tages-Anzeiger (01.02.2019)

 

Riesige Höhle im Thwaites-Gletscher entdeckt (Science Advances)

Zehn Kilometer lang, vier Kilometer breit und 300 Meter hoch – dies sind die unerwarteten Dimensionen einer Höhle im westantarktischen Thwaites-Gletscher. Entdeckt haben sie Wissenschaftler*innen des California Institute of Technology, die mit dem Radar Veränderungen unter dem Eis haben messen können. Ihre Ergebnisse haben sie am 30.01.2019 im Fachblatt Science Advances veröffentlicht. Entstanden ist die Höhle wahrscheinlich durch unter dem Gletscher herein fließendes Meerwasser innerhalb der letzten drei Jahre. Bisher hatte man angenommen, solche Höhlen könnten sich nicht so stark und schnell ausbreiten. Dieser Prozess könnte den Forscher*innen zufolge das Abschmelzen der Gletscher beschleunigen. Ihrer Meinung nach müsste er zusammen mit weiteren bislang unbekannten Details der Wechselwirkung von Ozean und Eis deshalb besser in Modellrechnungen einbezogen werden. So ließe sich genauer vorhersagen, wann und wie stark Gletscher sich zurückzögen.

Mindestens sechs Mal ist in deutschsprachigen Medien unabhängig voneinander über die Studie berichtet worden. Unbeteiligte Expert*innen sind dabei nicht zitiert worden. Obgleich der Thwaites-Gletscher in der Studie in vielerlei Hinsicht untersucht und beschrieben worden war, hat die gefundene Höhle im Zentrum der Berichterstattung gestanden. Das Medienecho ist damit dem Fokus der zugehörigen Pressemitteilung der National Aeronautics and Space Administration (NASA) gefolgt.

Steckbrief

Journal: Science Advances

Pressemitteilungen: Ja (vom Forschungsinstitut)

Aufgegriffen von:

  • Spiegel Online (31.01.2019)
  • Welt Online (31.01.2019)
  • dpa: Bonner General-Anzeiger (01.02.2019), Frankfurter Rundschau (01.02.2019), ntv.de (01.02.2019), Tagesspiegel (01.02.2019), gleich APA:
  • Standard (01.02.2019)
  • scinxx.de (01.02.2019)
  • Spektrum.de (01.02.2019)
  • Süddeutsche Zeitung Online (01.02.2019)

Menschen können neue Vokabeln unbewusst im Schlaf erlernen (Current Biology)

Nachdem Proband*innen ohne davon zu wissen im Schlaf frei ausgedachte Begriffe wie ‚Tofer‘ zusammen mit bekannten Wörtern wie ‚Haus‘ vorgespielt bekommen hatten, haben sie im Wachzustand Fragen zu den neuen Vokabeln richtig beantworten können. Sie haben zwar nicht bewusst erinnert, dass ‚Tofer‘ gleichbedeutend mit ‚Haus‘ ist. Aber sie haben mit einer Wahrscheinlichkeit von ungefähr 60 Prozent, die nicht durch den Zufall oder andere Faktoren wie den Klang der Wörter erklärt werden konnte, korrekt eingeschätzt, dass ‚Tofer‘ größer als ein Schuhkarton ist. Diese Lerneffekte sind allerdings nur aufgetreten, wenn die Begriffspaare in den richtigen Momenten vorgespielt worden sind: Während der sogenannten up-states, wenn die Nervenzellen einen kurzen Moment aktiver waren als sonst. Die Wissenschaftler*innen haben deren Aktivität mittels Elektroenzephalografie (EEG) gemessen. Bisher war angenommen worden, man könne im unbewussten Schlaf keine neuen Inhalte lernen. Ob andere Funktionen des Schlafs durch regelmäßiges schlafendes Lernen beeinträchtigt werden könnten, ist laut den Wissenschaftler*innen der Universität Bern noch unklar. Ihre Studie haben sie am 31.01.2019 im Fachblatt Current Biology veröffentlicht.

Mindestens sechs Mal haben deutschsprachige Medien unabhängig voneinander über die Studie berichtet. Meist ist kurz und bündig beschrieben worden, wie und was die Proband*innen gelernt hatten. Beim aerzteblatt.de und in der dpa-Meldung, die vielfach übernommen wurde, ist als unbeteiligter Experte der Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin zitiert worden. Dieser hat die Forschungsergebnisse als bahnbrechend bezeichnet.

Steckbrief

Journal: Current Biology

Pressemitteilungen: Ja (vom Forschungsinstitut)

Aufgegriffen von:

  • dpa (31.01.2019): Ärztezeitung (31.01.2019), Deutsche Welle (31.01.2019), Nürnberger Zeitung (31.01.2019), Spiegel Online (31.01.2019), Stuttgarter Zeitung (31.01.2019), Welt Online (31.01.2019), zdf.de (31.01.2019), BR.de (01.02.2019), Tagesspiegel (02.02.2019), Bonner General-Anzeiger (04.01.2019), APA (wie dpa): Standard (01.02.2019)
  • Neue Zürcher Zeitung (31.01.2019)
  • Süddeutsche Zeitung Online (31.01.2019)
  • aerzteblatt.de (01.02.2019)
  • MDR.de (03.02.2019)
  • Deutschlandfunk (04.02.2019)

 

*Protokoll: Hendrik Boldt

 

Die Vorhersage der Auswahl von Themen seitens der Journalisten gleicht dem täglichen Blick in die Glaskugel. Haben Journalisten das entsprechende Fachjournal auf dem Schirm? Werden sie das Thema aufgreifen und berichten? Wenn ja: mit welchem Dreh? Wenn nein: Kann es sein, dass wichtige entscheidungsrelevante Forschungsergebnisse, über die berichtet werden sollte, übersehen werden? Im Science Media Newsreel dokumentiert das Team des SMC einmal pro Woche rückblickend die kongruenten Wissenschaftsthemen, die aus namentlich genannten Fachzeitschriften in Presseerzeugnissen und Internetangeboten aufgegriffen wurden. Erwähnt werden nur solche Themen, die bei unserem zugegeben unvollständigen Monitoring in mehr als fünf unterschiedlichen Redaktionen mit textlich nicht identischen Berichten aufgegriffen wurden.