Bereits in den Siebzigerjahren hat der Fernseh-Journalist Horst Stern vor einem gedankenlosen Umgang mit der Natur gewarnt und Missstände aufgedeckt. Seine Sendung „Sterns Stunde“ im Ersten hat Fernsehgeschichte geschrieben. Am vergangenen Donnerstag starb der Journalist und Autor im Alter von 96 Jahren.

Anlässlich des 85. Geburtstags von Stern (2007) gab es im WPK-Quarterly einen Text über den kompromisslosen und engagierten Journalisten.  Zum Tod von Horst Stern vor wenigen Tagen veröffentlichen wir diesen Text hier erneut. 

 

„WENN DU KEINEN WIRKLICH BEGRÜNDBAREN ZWEIFEL MEHR HAST, DANN SAG ES AUCH“

Die existenzielle Unruhe als Gegenentwurf zur professionellen Oberflächlichkeit – Horst Stern zum 85. Geburtstag

VON FRANCO ZOTTA

Am 6. November 2007 ist im Alter von 87 Jahren in Italien Enzo Biagi gestorben. Das staatliche Fernsehen RAI unterbrach sofort seine regulären Übertragungen und nahm über Tage immer wieder Sondersendungen ins Programm. Alle überregionalen Zeitungen und Magazine veröffentlichten umfangreiche Dossiers, die an das vielfältige Schaffen dieses in Italien weithin bekannten Journalisten, Schriftstellers und langjährigen Fernsehmoderators erinnern.

Wenige Tage vor Biagis Tod ist Horst Stern 85 Jahre alt geworden. Es hätte Anlass sein können, an das vielfältige Schaffen dieses bekannten Journalisten, Schriftstellers und langjährigen Fernsehmoderators zu erinnern. Doch mit der rühmlichen Ausnahme eines Textes im Nachrichtenmagazin Focus hat dieser Geburtstag in der überregionalen Presse nicht stattgefunden. Horst Stern, so scheint es, ist bereits zu Lebzeiten in Vergessenheit geraten.

Das lässt sich – auf den ersten Blick – erklären. Stern fehlt, anders als zum Beispiel Henri Nannen, Gräfin Dönhoff oder Rudolf Augstein, ein publizistisches Flagschiff, mit dessen Geschichte sein Name untrennbar verbunden ist – obwohler in den 1980er Jahren mit großem Erfolg die Zeitschrift natur gegründet und sie einige Jahre als Chefredakteur geleitet hat. Ende der 1970er Jahre, auf dem Höhepunkt der Bekanntheit seiner sehr populären Sendung „Sterns Stunde“, verabschiedete sich Stern zudem zunächst vom Fernsehen und ein knappes Jahrzehnt später sogar gänzlich vom Journalismus – sieht man von jener Handvoll bissiger Kolumnen ab, mit denen er in den 90er Jahren den Lesern der Zeitung Die Woche seine tiefe Verbitterung  angesichts der fortwährenden Naturzerstörung und der moralischen Korrumpierbarkeit der politischen Klasse spüren ließ.

Horst Stern ist bereits zu Lebzeiten in Vergessenheit geraten

Und nicht zuletzt ist es dem langen, bis heute andauernden Schweigen geschuldet, in das Stern nach einer beachteten späten Karriere als Romanautor (Mann aus Apulien, Klint)verfiel, das die mediale Öffentlichkeit vergessen ließ, dass im fernen Passau ein Mann seinen Geburtstag beging, der  zweifellos zu den besten deutschen Nachkriegsjournalisten zählt.

Es bleibt – auf den zweiten Blick – dennoch ein Rätsel, weshalb ein derart erfolgreicher und produktiver Journalist wie Stern, der seit seinen Anfängen in den 60er Jahren als Gerichtsreporter bei den Stuttgarter Nachrichten z. T. zeitgleich insgesamt hunderte von Beiträgen für Tages- und Wochenzeitungen, Radiosendungen, Magazine und seinen TV-Haussender SDR produziert hat, in der hiesigen wissenschaftsjournalistischen Landschaft so weitgehend folgenlos geblieben ist. Sendereihen wie „Sterns Stunde“ haben Fernsehgeschichte geschrieben.

Den kompromisslosen und engagierten Journalismus von „Sterns Stunde“ sucht man in der heutigen TV-Landschaft oft vergebens

Doch sucht man den ihr zugrunde liegenden kompromisslosen und investigativen, ebenso faktengesättigten wie politisch engagierten Journalismus in der heutigen TV-Landschaft oft vergebens. Wo Stern mit bis dahin nie gezeigten Bildern einem Millionenpublikum die Augen öffnete für die Abgründe moderner Massentierhaltung, bestialische Jagdrituale oder das furchtbare Schicksal von Versuchstieren in der Pharmaforschung, dominiert nicht nur im TV wieder jene harmlos-liebliche, von possierlichen Nagern bevölkerte Naturromantik, die Stern immer als antropomorphisierte „Bambiisierung der Natur“ kritisierte. Und geradezu verschroben altmodisch mutet heute Sterns journalistisches Kredo an in einer Zeit, in der der allwissende wissenschaftliche Experte auf allen Kanälen seine mediale Auferstehung feiert und so beiläufig den Journalisten von der mühseligen Verpflichtung befreit, ein eigenes, gut begründetes Urteil zu formulieren, sich also durch intensive Recherche schließlich selbst zum „Experten der Lebenswelt“ zu machen.

Recherchieren, darüber nachdenken, nachprüfen, nachprüfen

„Zeit meines Lebens“, stellt Stern 1997 in einem Interview rückblickend fest, „war ich immer der Meinung, dass ein Journalist die Dinge, die er sorgfältig recherchiert hat und die er bei sich für wahr befunden hat, auch aussprechen soll.“ Und er ergänzt: „Ich habe immer nach diesen altehrwürdigen Gesetzen des Journalismus gearbeitet. Recherchieren, darüber nachdenken, nachprüfen, nachprüfen, und wenn du keinen wirklich begründbaren Zweifel mehr hast, dann sag es auch.“

Dieses Selbstbewusstsein ist Stern nicht in die Wege gelegt worden. Der aus einfachen Verhältnissen stammende gebürtige Stettiner verließ in den 30er Jahren die Schule nach der Mittleren Reife, schloss eine Ausbildung zum Bankkaufmann ab und besuchte danach nie wieder eine Bildungsstätte. Getrieben von einem enormen Bildungshunger eignete sich Stern zunächst sein journalistisches und später auch sein wissenschaftliches Wissen autodidaktisch an.

Der Weg in den Wissenschaftsjournalismus verläuft alles andere als geradlinig

Der Weg in den Wissenschaftsjournalismus verlief dabei alles andere als geradlinig: Stern arbeitete zunächst als Lokalreporter, wechselte später zum Delius-Klasing-Verlag, wo er Chefredakteur eines Reise-, eines Auto- und schließlich eines Yachtmagazins wurde. Seine privaten Tierstudien die er mit einem intensiven Studium des Werks des Zoologen Konrad Lorenz verknüpfte, führten schließlich zu ersten wissenschaftsjournalistischen Beiträgen für Kosmos und vor allem für den Schulfunk des SDR.

Der SDR-Fernsehdirektor Horst Jaedicke, fasziniert von der feuilletonistischen Sprachbegabung Sterns, bot dem damals 48-Jährigen schließlich eine eigene Fernsehsendung an. Obwohl Stern bis dahin noch nie für dieses Medium gearbeitet hatte, wagte er den Schritt, weil ihn die Herausforderung reizte, mit dem Fernsehen plötzlich ein riesiges Publikum erreichen zu können. Der 13. Januar 1970 war die Geburtsstunde von „Sterns Stunde“.

Die Massenattraktivität des Fernsehens ist letztlich wohl der Grund dafür, dass Horst Stern diesem Medium den Rücken kehrte

Paradoxerweise lag in der Massenattraktivität dieses neuen Mediums letztlich wohl der Grund dafür, dass Stern dem Fernsehen zehn Jahre später den Rücken kehrte. Denn trotz der grandiosen Einschaltquoten veränderten die Sendungen, anders als von Stern erhofft, nur wenig an den Zuständen, die er in seinen Filmen kritisierte. Auch Sterns aufklärerische Hoffnung, „dass ich die Wissenschaft mit der Nase auf Dinge gestoßen habe, die durch meine
journalistische Beobachtung in mir aufkamen“, um derart schließlich öffentlich die gesellschaftlich „bedeutsamen Fragen“ und Missstände ins Licht zu rücken und zu lösen, erfüllte sich nicht.

Stern engagierte sich deshalb zusätzlich in außerparlamentarischen Bewegungen. Als Mitglied der “Gruppe Ökologie” zählte er Anfang der 1970er neben Konrad Lorenz, Irenäus Eibl-Eibesfeldt, Bernhard Grzimek und Heinz Sielmann zu den Geburtshelfern der Umweltschutzbewegung, arbeitete als Naturschutzbeauftragter im Landkreis Lindau und gehörte zu den Gründungsvätern des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND).

Diese existenzielle Unruhe des empathisch „Sehenden“, dem es nicht gelingt, sich hinter einer vordergründig distanzierten Professionalitätsattitüde vor der quälenden Einsicht zu schützen, dass das, was man als wahr und notwendig erkannt hat, auch Folgen in der Wirklichkeit haben muss, stürzt den Journalisten Stern in eine berufliche Identitätskrise. In der Figur des Umweltjournalisten Klint, der Selbstmord begeht, weil er die eigene Ohnmacht nicht ertragen an, mit der er mit ansehen muss, wie die verantwortungslose westliche Moderne sehenden Auges die ökologische Katastrophe provoziert, hat Stern diesen eigenen Konflikt 1993 auch literarisch verarbeitet.

Dieses Dilemma, als Journalist Wissen und Erkenntnis zu mehren und trotzdem aushalten zu müssen, dass das Verkünden dieser Wahrheiten folgenlos bleibt, zeugt andererseits davon, dass sich Horst Sterns Weg in den Journalismus einer Kompromisslosigkeit verdankt, die in der Medienlandschaft selten geworden ist. Der taz-Mitgründer Tom Schimmeck hat kürzlich beim Jahrestreffen des Netzwerks Recherche beklagt, dass der Journalismus heute in bedenklichem Umfang von Menschen ausgeübt. wird, denen man nicht mehr ansieht, mit welcher Motivation und für welches Ziel sie überhaupt diesen Beruf ergriffen haben. Ohne eine Haltung aber, konstatiert Schimmeck, verkommt Journalismus zu einem überflüssigen eitlen Spiel, in dem die existenzielle Unruhe des engagierten Journalismus ersetzt wird durch eine routinierte professionelle Oberflächlichkeit, die im Grunde nichts mehr wissen will und in der Folge eigentlich auch nichts mehr zu erzählen hat. – Von diesem verstummten Mann aus Passau ließe sich in diesem Zusammenhang womöglich lernen, wie es anders sein könnte.