Was bedeutet der steigende CO2-Gehalt für die globale Ernährungslage? Gibt es einen Ersatz für Schmerzmittel mit Suchtpotenzial? Science Media Newsreel No. 23 (27.08. bis 02.09.2018)
Veröffentlicht am 15. Oktober 2018 von Redaktion Hinterlasse einen KommentarEin Wochenrückblick des Science Media Center, über welche Forschungsergebnisse viele Wissenschaftsjournalisten zeitnah berichten:
Mehr CO2 in der Atmosphäre könnte globale Mangelernährung verschlimmern (Nature Climate Change)
Im Jahr 2050 könnten 175 Millionen Menschen mehr als heute ein Zinkdefizit und 122 Millionen mehr ein Proteindefizit haben. Zusätzlich könnten 1,4 Milliarden Kinder unter fünf Jahren und Frauen im gebärfähigen Alter in Regionen mit hohem Risiko für Eisenmangel leben. Das haben Wissenschaftler der Universität Harvard am 27.08.2018 in der Fachzeitschrift Nature Climate Change berichtet. Laut der veröffentlichten Studie wäre dies eine mögliche Konsequenz, wenn der Kohlendioxid-Ausstoß der Menschheit weiter dem RCP8.5-Szenario des Weltklimarates IPCC folgt. In diesem Fall würde der CO2-Gehalt der Atmosphäre im Jahr 2050 einen Wert von 550 ppm (Teilchen pro eine Million Teilchen) erreichen. Verglichen mit einer Stabilisierung des CO2-Gehalts beim heutigen Wert von etwas über 400 ppm führe das zu drei bis 17 Prozent niedrigeren Konzentrationen von Zink, Proteinen und Eisen in vielen wichtigen Getreiden, insbesondere Weizen und Reis. Die Wissenschaftler haben – klimatische Veränderungen außen vor lassend – ausschließlich diesen Effekt des CO2-Gehalts betrachtet. Daraus haben sie unter Annahme konstanter Ernährungsgewohnheiten die Anzahl derer berechnet, die von Nährstoffmängeln betroffen sein würden. Besonders in Süd- und Südostasien, Subsahara-Afrika, Nordafrika und im Mittleren Osten rechnen die Wissenschaftler mit einer deutlichen Zunahme von Nährstoffmängeln. Sie fordern deshalb gezieltes Gegensteuern, beispielsweise Programme zur Veränderung der Ernährungsgewohnheiten oder die bewusste Selektion von Getreidesorten, die weniger stark auf den Anstieg der CO2-Konzentration reagieren.
In mindestens sechs deutschsprachigen Medien ist unabhängig voneinander über die Studie berichtet worden. Dabei sind einige Artikel, insbesondere beim Tagesspiegel, über die Ergebnisse der Studie hinausgegangen und haben verschiedene Effekte des Klimawandels auf die weltweite Ernährung diskutiert. Die Süddeutsche Zeitung hat zur Veränderung der mengenmäßigen landwirtschaftlichen Erträge einen unbeteiligten Experten des Thünen-Instituts in Braunschweig zitiert. Bei der Deutschen Welle hat eine unbeteiligte Expertin der Universität von Washington in Seattle über die Auswirkungen von Nährstoffmängeln auf die Gesundheit berichtet. Weitere nicht an der Studie beteiligte Expert*innen sind nicht zitiert worden.
Steckbrief
Journal: Nature Climate Change
Pressemitteilungen: Nein
Aufgegriffen von:
- Süddeutsche Zeitung Online (27.08.2018)
- AFP: Spiegel Online (28.08.2018)
- APA: Der Standard (28.08.2018)
- Kölner Stadt-Anzeiger (28.08.2018), äquivalent: Frankfurter Rundschau (28.08.2018)
- Tagesspiegel Online (28.08.2018)
- Deutsche Welle (29.08.2018)
- SWR.de (30.08.2018)
Schmerzmittel ohne Nebenwirkungen und Suchtpotenzial erfolgreich an Affen getestet (Science Translational Medicine)
Im Test an Rhesusaffen hat der Wirkstoff AT-121 sich als ähnlich effektiv erwiesen wie andere Schmerzmittel – allerdings ohne deren Suchtpotenzial und Nebenwirkungen zu entfalten. Dies geht aus einem am 29.08.2018 im Fachblatt Science Translational Medicine von Wissenschaftler*innen der amerikanischen Wake Forest Universität veröffentlichten Artikel hervor. Der Hauptunterschied des Wirkmechanismus ist wohl: Während andere Schmerzmittel vor allem am Mu-Opioid-Rezeptor ansetzen und so die Schmerzen lindern, spricht AT-121 zusätzlich auch den Nociceptin-Rezeptor an. Dieser blockiert die Nebenwirkungen wie zum Beispiel Atemlähmungen oder übermäßige Schmerzempfindlichkeit (Hyperalgesie). Sollten sich die positiven Ergebnisse auch in klinischen Versuchen mit Menschen replizieren lassen, so könnte AT-121 gängige Opioide wie Oxycodon ersetzen. Diese sind trotz ihres Suchtpotenzials wegen ihrer Effektivität weit verbreitet. Die Opioid-Sucht führt – besonders in den USA – jährlich zu vielen Todesopfern. Da AT-121 auch die süchtig machende Wirkung von Oxycodon senkt, vermuten die Wissenschaftler*innen, dass es auch bei der Therapie bestehender Opioid-Süchte zum Einsatz kommen könnte.
In mindestens fünf deutschsprachigen ist unabhängig voneinander über die Studie berichtet worden. Dabei ist in der dpa-Meldung ein unbeteiligter Experte des Uniklinikums Jena zitiert worden, der die Relevanz der Studienergebnisse einsortiert und differenziert, für welche Patienten mögliche neue Schmerzmittel Vorteile hätten. Übereinstimmend haben die Artikel darauf hingewiesen, dass zwar der erfolgreiche Test an Affen suggeriere, dass das Mittel auch für Menschen geeignet sei, und dass dennoch viele weitere Studien notwendig wären, um dies tatsächlich belegen.
Steckbrief
Journal: Science Translational Medicine
Pressemitteilungen: Ja (von der Fachzeitschrift, vom Forschungsinstitut)
Aufgegriffen von:
- Spektrum.de (31.08.2018)
- Stuttgarter Nachrichten (31.08.2018)
- aerzteblatt.de (31.08.2018)
- scinexx.de (31.08.2018)
- dpa: Welt Online (30.08.2018), Focus Online (31.08.2018)
*Protokoll: Hendrik Boldt
1 Die Vorhersage der Auswahl von Themen seitens der Journalisten gleicht dem täglichen Blick in die Glaskugel. Haben Journalisten das entsprechende Fachjournal auf dem Schirm? Werden sie das Thema aufgreifen und berichten? Wenn ja: mit welchem Dreh? Wenn nein: Kann es sein, dass wichtige entscheidungsrelevante Forschungsergebnisse, über die berichtet werden sollte, übersehen werden? Im Science Media Newsreel dokumentiert das Team des SMC einmal pro Woche rückblickend die kongruenten Wissenschaftsthemen, die aus namentlich genannten Fachzeitschriften in Presseerzeugnissen und Internetangeboten aufgegriffen wurden. Erwähnt werden nur solche Themen, die bei unserem zugegeben unvollständigen Monitoring in mehr als fünf unterschiedlichen Redaktionen mit textlich nicht identischen Berichten aufgegriffen wurden.