Welche Gene braucht man für den Schulerfolg? Wie unberührt sind die Ozeane? Ein See auf dem Mars – ist Leben möglich? Rotverschiebung am schwarzen Loch bestätigt Einstein. Science Media Newsreel No.18 (23.07. bis 29.07.2018)
Veröffentlicht am 15. August 2018 von Redaktion Hinterlasse einen KommentarEin Wochenrückblick des Science Media Center, über welche Forschungsergebnisse viele Wissenschaftsjournalisten zeitnah berichten:
Welchen Unterschied machen die Gene für den Bildungserfolg? (Nature Genetics)
Genetische Varianten können elf bis 13 Prozent der Unterschiede (Varianz) des Bildungserfolges, gemessen an der Anzahl der Bildungsjahre. Zugrunde liegen rund circa eine Million genetische Varianten, sogenannte SNPs: Einzeln betrachtet haben sie kaum einen Effekt – zusammen betrachtet, in Form eines sogenannten polygenen Scores, hingegen schon. Auch die Varianz der kognitiven Leistung (statt des Bildungserfolges) kann durch einen polygenen Score zu sieben bis 13 Prozent genetisch erklärt werden. Ein internationales Team von Wissenschaftlern hat Gendaten von mehr als einer Millionen Menschen europäischer Herkunft analysiert, mittels einer genomweiten Assoziationsstudie (GWAS). Außerdem haben die Forscher unter den rund eine Million verschiedenen Genvarianten konkret 1271 Genvarianten gefunden, die mit mehr Bildungsjahren, also wohl einer besseren Ausbildung, statistisch signifikant assoziiert sind. Die Varianten liegen in Genen, die eine Rolle bei der Entwicklung des Gehirns und der Signalübertragung zwischen Nervenzellen spielen. Ihre Ergebnisse haben die Wissenschaftler am 23.07.2018 im Fachmagazin Nature Genetics veröffentlicht. Damit ließen sich genetischen Einflüsse besser herausrechnen, wenn man die Effekte von Bildungsinterventionen analysiert, so die Forscher. Zudem liefern die Erkenntnisse Hinweise darauf, welche biologischen Prozesse wichtig für den Bildungserfolg sind.
In mindestens elf deutschsprachigen Medien ist über die Studie berichtet worden. Neun Medien haben dabei aus den Experten-Statements des Science Media Center Germany, wo sich zwei unbeteiligte Experten von der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich und vom Universitätsklinikum Bonn geäußert hatten. Andere Experten sind nicht zitiert worden. Grundsätzlich hat die Berichterstattung meist deutlich gemacht, dass neben den Genen weiterhin viele andere Einflüsse relevant sind, um den Bildungserfolg zu erklären. In der Berichterstattung ist besonders aufgefallen, wie mit den statistischen Fachtermini umgegangen wurde. Bei Spektrum.de zum Beispiel war die Rede davon, dass die Gene einen „Prozentanteil der Varianz“ erklären; Zeit Online formulierte, dass „es in etwa elf bis 13 Prozent genetische Varianten sind, die beeinflussen, welchen schulischen Abschluss ein Mensch schafft“. Zudem ist beim aerzteblatt.de, bei scinexx.de, bei Spiegel Online und bei SWR.de berichtet worden, dass die 1271 gefundenen Genvarianten den polygenen Score ergeben würden. Dieser setzt sich aber aus allen in der Studie ermittelten Varianten zusammen, zusammen circa eine Million. Die 1271 SNPs sind lediglich diejenigen, die schon einzeln einen statistisch signifikanten Einfluss auf den Bildungserfolg haben.
Steckbrief
Journal: Nature Genetics
Pressemitteilungen: Ja (von einer Forschungseinrichtung, von einer Forschungseinrichtung)
Aufgegriffen von:
- Spektrum.de (23.07.2018)
- Süddeutsche Zeitung Online (23.07.2018), Süddeutsche Zeitung (24.07.2018)
- SWR.de (23.07.2018)
- Welt Online (23.07.2018), Welt (24.07.2018)
- Wissenschaft.de (23.07.2018)
- Zeit Online (23.07.2018)
- aerzteblatt.de (24.07.2018)
- Brigitte.de (24.07.2018)
- scinexx.de (24.07.2018)
- Spiegel Online (26.07.2018)
- Bunte.de (31.07.2018)
Wie viel unberührte Natur gibt es im Ozean? (Current Biology)
Nur noch rund 13 Prozent der Ozeane sind „Wildnis“, also vom Menschen weitgehend unberührte Natur. Dies folgt jedenfalls aus der Definition von Wildnis, die Wissenschaftler der Wildlife Conservation Society aufgestellt haben. Die Ergebnisse haben sie am 26.07.2018 im Fachblatt Current Biology publiziert. Demnach sind nur diejenigen Teile der Weltmeere Wildnis, die in einem zweistufigen Auswahlverfahren übrig geblieben sind. Ausgewählt worden ist anhand von 19 verschiedenen Stressor-Werten, mit denen der menschliche Einfluss auf die Natur bewertet worden ist. Etwa, wie stark eine Region befischt wird, wie stark befahren ein Gebiet ist oder wie verschmutzt das Wasser dort ist. Im ersten Schritt haben die Forscher diejenigen Regionen ausgewählt, die bei jedem einzelnen Stressor zu den zehn Prozent der am geringsten betroffenen Regionen zählten. Im zweiten Schritt sind auch Stressoren miteinbezogen worden, die auf den menschlichen Klimaeinfluss zurückzuführen sind. Außerdem sind auch Regionen ausgewählt worden, die nach dem ersten Schritt übrig geblieben waren und zugleich zu den zehn Prozent der am wenigsten betroffenen Regionen zählen, wenn man alle Stressoren zusammenaddiert. Die als „Wildnis“ klassifizierten Regionen gehören also bei jedem einzelnen Stressor zu den niedrigsten zehn Prozent, als auch, wenn man alle Stressoren addiert. Aus Sicht der Studienautoren zeigen die Ergebnisse, wie wenig unberührte Natur in den Ozeanen verbleibt. Zudem seien nur 4,9 Prozent der gefundenen Wildnis geschützt. Deshalb fordern sie weitere politische Anstrengungen, um die Wildnis der Ozeane zu erhalten.
Mindestens fünf deutschsprachige Artikel haben unabhängig voneinander über die Studie berichtet. Außerdem wurde der Artikel der Nachrichtenagentur dpa von vielen anderen Medien übernommen. Übereinstimmend ist auf das in der Studie formulierte Anliegen, mehr maritime Wildnis zu schützen, hingewiesen worden. In sämtlichen Artikeln außer bei taz.de ist auch ein unbeteiligter Experte des Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung (AWI) in Bremerhaven zitiert worden, der eines von zwei Experten-Statements dem Science Media Center zur Verfügung gestellt hatte. In den zitierten Aussagen kritisiert er die Datengrundlage der Studie sowie die gleichwertige Verrechnung der Stressoren. Außerdem ist bei Zeit Online eine unbeteiligte Expertin des Senckenberg Forschungsinstituts und Naturmuseums ebenfalls aus den Experten-Statements des SMC zitiert worden. Sie bemängelt, dass die Autoren ohne hinreichenden Beweis behaupteten, die von ihnen identifizierte Wildnis habe auch eine besonders hohe Artenvielfalt.
Steckbrief
Journal: Current Biology
Pressemitteilungen: Ja (von dem Fachjournal, von einer Forschungseinrichtung, von einer Forschungseinrichtung
Aufgegriffen von:
- dpa (26.07.2018): Augsburger Allgemeine (26.07.2018), Focus Online (26.07.2018), ntv.de (26.07.2018), Hannoversche Allgemeine Zeitung (26.07.2018), Kurier.at (26.07.2018), Süddeutsche Zeitung Online (26.07.2018), Westdeutsche Zeitung (26.07.2018), Wirtschaftswoche Online (26.07.2018), Zeit Online (26.07.2018), Frankenpost (27.07.2018), Standard.at (27.07.2018), Stuttgarter Zeitung (27.07.2018), Tages-Anzeiger (31.07.2018)
- Deutschlandfunk (27.07.2018)
- taz.de (27.07.2018)
- science.ORF.at (27.07.2018)
- Zeit Online (30.07.2018)
Ermöglicht neu entdeckter See auf dem Mars Leben auf dem Roten Planeten? (Science)
In 1,5 Kilometern Tiefe unter dem Eis des Mars liegt ein See aus flüssigem Wasser, der etwa 20 Kilometer im Durchmesser misst. Dies schreiben Wissenschaftler des Instituto Nazionale di Astrofisica in Bologna in einer am 25.07.2018 im Fachmagazin Science veröffentlichten Studie. Damit ist erstmals Wasser in solch großer Menge auf dem Mars gefunden worden. Mittels Radaruntersuchungen hatten die Wissenschaftler einen Teil der Marsoberfläche untersucht. Dabei haben sie Reflektionen des Radarsignals aufgezeichnet, die ihrer Meinung nach eindeutig von flüssigem Wasser unter einer dicken Eisschicht stammen müssen. Sie vermuten, dass das Wasser aufgrund des hohen Drucks und eines hohen Salzgehalts trotz extremer Kälte nicht gefriert. Ob es unter diesen Bedingungen im Wasser Leben geben kann, ist allerdings noch unklar.
Mindestens elf deutschsprachige Medien haben über die Studie berichtet. Neben dem Fund des Sees hat sich die Berichterstattung vor allem darum gedreht, ob auf dem Mars oder anderen Objekten unseres Sonnensystems außerirdisches Leben existieren könnte. Oft ist der Fund des Sees in den Kontext der Geschichte der Suche nach extraterrestrischem Leben gestellt worden. Der Deutschlandfunk hat dabei eine unbeteiligte Expertin der Universität Edinburgh zitiert, die außerirdisches Leben zumindest für den nun entdeckten See bezweifelt. Bei Zeit Online ist ein Wissenschaftler des Planetary Science Institute in Arizona zitiert worden. Und der Tagesspiegel und die Neue Zürcher Zeitung haben einen Experten vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt zitiert.
Steckbrief
Journal: Science
Pressemitteilungen: Ja (vom Journal)
Aufgegriffen von:
- AFP (25.07.2018): Deutsche Welle (25.07.2018), Stuttgarter Zeitung (26.07.2018)
- Der Standard (25.07.2018)
- dpa (25.07.2018): Berliner Zeitung Online (25.07.2018), Frankfurter Rundschau (25.07.2018), Hannoversche Allgemeine Zeitung Online (25.07.2018), tagesschau.de (25.07.2018), Welt Online (25.07.2018), ntv.de (26.07.2018)
- MDR.de (25.07.2018)
- SWR.de (25.07.2018)
- Zeit Online (25.07.2018)
- Deutschlandfunk, Forschung Aktuell (26.07.2018)
- Die Presse (26.07.2018)
- Tagesspiegel (26.07.2018)
- Neue Zürcher Zeitung (27.07.2018)
Von Einstein vorhergesagte Rotverschiebung bestätigt (Astronomy & Astrophysics)
Erstmals ist beobachtet worden, wie die Farbe eines Sterns in der Nähe eines schwarzen Lochs durch Gravitation rötlich wird. Damit ist eine Implikation von Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie bestätigt worden, wonach die Wellenlänge des Lichts nahe der großen Masse schwarzer Löcher gedehnt würde. Das Licht verliert aufgrund der starken Anziehungskraft des Lochs Energie, wodurch die Wellenlänge geändert wird. Dies schreiben Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für extraterrestrische Physik in Garching in einem Artikel, der am 26.07.2018 im Fachblatt Astronomy & Astrophysics veröffentlicht worden ist. Sie hatten den Stern S2 auf seiner Umlaufbahn um das schwarze Loch im Zentrum der Milchstraße mit dem Very Large Telescope der Europäischen Südsternwarte (Eso) beobachtet. Dabei haben sie die Rotverschiebung nahe des schwarzen Lochs dokumentieren können.
Mindestens 13 deutschsprachige Medien haben über die Studie berichtet. Auch die Agenturenmeldungen zur Studie sind von vielen Medien übernommen worden. Dabei sind nirgends unbeteiligte Experten zitiert worden. Übereinstimmend ist betont worden, dass die Beobachtungen ein weiterer Beleg für die Allgemeine Relativitätstheorie sei. Zudem ist oftmals Wissen zur Relativitätstheorie vermittelt und der Beobachtungsaufbau der Studie erklärt worden.
Steckbrief
Journal: Astronomy & Astrophysics
Pressemitteilungen: Ja (von einer Forschungseinrichtung, von einer Forschungseinrichtung)
Aufgegriffen von:
- AFP (26.07.2018): Kölner Stadt-Anzeiger (27.07.2018)
- dpa (26.07.2018): Hamburger Abendblatt (27.07.2018), Spiegel Online (26.07.2018), Berliner Zeitung (27.07.2018)
- Frankfurter Allgemeine Zeitung Online (26.07.2018), Frankfurter Allgemeine Zeitung (01.08.2018)
- Riffreporter.de (26.07.2018)
- Tagesspiegel (26.07.2018)
- Zeit Online (26.07.2018)
- Neue Zürcher Zeitung (27.07.2018)
- Welt (27.07.2018), Welt Online (27.07.2018)
- scinexx.de (27.07.2018)
- Stern Online (27.07.2018)
- Süddeutsche Zeitung (27.07.2018)
- Standard.at (30.07.2018)
Protokoll: Hendrik Boldt
1Die Vorhersage der Auswahl von Themen seitens der Journalisten gleicht dem täglichen Blick in die Glaskugel. Haben Journalisten das entsprechende Fachjournal auf dem Schirm? Werden sie das Thema aufgreifen und berichten? Wenn ja: mit welchem Dreh? Wenn nein: Kann es sein, dass wichtige entscheidungsrelevante Forschungsergebnisse, über die berichtet werden sollte, übersehen werden? Im Science Media Newsreel dokumentiert das Team des SMC einmal pro Woche rückblickend die kongruenten Wissenschaftsthemen, die aus namentlich genannten Fachzeitschriften in Presseerzeugnissen und Internetangeboten aufgegriffen wurden. Erwähnt werden nur solche Themen, die bei unserem zugegeben unvollständigen Monitoring in mehr als fünf unterschiedlichen Redaktionen mit textlich nicht identischen Berichten aufgegriffen wurden