Wissenschaft im Radio gilt zurecht als Stärke des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Seit Beginn der neunziger Jahre gingen mit viel Zuspruch der Hörerschaft gleich mehrere Wissenschafts- und Wissensformate auf Sendung. Doch nun muss gespart werden, und Wissenschaftssendungen sind in mehreren Sendern von den Einsparungen betroffen.
Der SWR stellte seine wöchentliche Wissenschaftssendung »Campus« zum 1. Januar 2018 ein. WDR 5 verzichtet in »Leonardo« zunehmend auf längere Autorenbeiträge und setzt stattdessen auf Call in, Hörerrätsel und Interviews. Durch Zusammenarbeit mit Fernseh- und Online-Redaktionen sollen typische Hörfunkbeiträge zunehmend ersetzt werden. Immer seltener finden gut recherchierte Berichte über Wissenschaft den Weg in aktuelle Hörfunkprogramme. Neuerdings gerät auch die reichweitenstärkste Wissenschaftssendung »Forschung Aktuell« im Deutschlandfunk unter Druck.
25 freie Autoren der Sendung haben deshalb zunächst die Intendanz und dann den Hörfunkrat des Deutschlandradios auf diese in ihren Augen bedenkliche Entwicklung aufmerksam gemacht. In den Briefen heißt es: Der aktuelle Spardruck bedroht bereits jetzt die Qualität der Berichterstattung.
Die Redaktion »Forschung Aktuell« hat seit mehr als 25 Jahren ein Team von journalistisch wie fachlich kompetenten freien Mitarbeitern aufgebaut, darunter Physiker, Chemiker, Biologen, Geologen, Ingenieure, Philosophen, Anthropologen und andere hochqualifizierte Wissenschaftsjournalisten. Sie schreiben und produzieren Hintergrundberichte, ordnen ein und kommentieren. Die festangestellten Redakteure behalten die großen Entwicklungen im Blick, können aber nicht fachliche Expertise in allen Bereichen der Wissenschaft entwickeln, die so unterschiedlich sind wie Raumfahrt, Genetik, Geologie, Neurowissenschaft, Computertechnik, Ökologie, Ernährungswissenschaft, Teilchenphysik, Paläontologie, Informatik, Klimaforschung, Chemie, Energietechnik, Anthropologie, Biotechnologie und vieles mehr.
Wenn es darum geht, aktuelle Ereignisse und Entwicklungen schnell und kompetent einzuordnen, können sich die DLF-Redakteure auf ihre Fachautoren verlassen. Die Redaktion weiß, dass sie über Jahre hinweg Themen recherchieren und beobachten, unabhängig von einem konkreten Auftrag für einen Beitrag oder eine Recherche. Fachautoren verfolgen die wissenschaftlichen Diskussionen, besuchen Tagungen und Labore und bleiben mit Akteuren und Kritikern in Kontakt – auch wenn sie keinen direkten Auftrag haben. Nur so ist eine ambitionierte Berichterstattung möglich. Diese Zusammenarbeit von festen und freien Journalisten ist seit fast drei Jahrzehnten eine Erfolgsgeschichte. Keine andere Wissenschaftssendung in Deutschland ist so häufig mit journalistischen Preisen ausgezeichnet worden wie »Forschung Aktuell« bzw. »Wissenschaft im Brennpunkt«. In den vergangenen 20 Jahren ging mehr als die Hälfte aller Holtzbrinck-Preise für Wissenschaftsjournalismus in elektronischen Medien an Fachautorinnen und –autoren des Deutschlandfunks. Die Hörer wissen, dass sie auf den Wissenschaftssendeplätzen des DLF verständliche, verlässliche und relevante Informationen bekommen. Das belegen nicht zuletzt die hohen Abrufzahlen beim Podcast.
Dass auch andere Redaktionen im Deutschlandfunk von dieser Arbeit profitieren, zeigt das Beispiel des Atomunfalls von Fukushima. Drei Fachautoren standen unmittelbar nach Bekanntwerden des Unfalls den Zeitfunkredaktionen im Schichtdienst ständig zur Verfügung und gewährleisteten aktuelle, verständliche, einordnende Berichte auf hohem Niveau. Weitere Beispiele für kritische eigenständige Berichterstattung sind Insiderberichte aus der Klimaforschung, differenzierte Betrachtung von Künstlicher Intelligenz in der Medizin oder des milliardenschweren Human Brain Projects, Bedeutung des Klonens von Primaten oder schnelle und kompetente Reaktionen bei Skandalen, Epidemien, Erdbeben oder Vulkanausbrüchen. Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen.
Die enge Zusammenarbeit zwischen freien Mitarbeitern und Deutschlandfunk-Redaktionen hat natürlich ihren Preis. Von Anfang an waren im Etat der Sendung »Forschung Aktuell« die Ausgaben für Fachautorinnen und -autoren als »Sachmittel« kalkuliert. Nur so konnten die Radiomacher die hohe Qualität der Sendungen entwickeln und sichern. So entstand eine win-win-Situation, die durch aktuelle Sparmaßnahmen bedroht wird. Denn kürzen kann der Sender nicht bei den Planstellen, sondern nur bei den »Sachmitteln«. Und das trifft die freien Mitarbeiter.
Freie Autoren sind auch selbstständige Unternehmer, deren wirtschaftliche Basis in den vergangenen Jahren stetig geschwächt wurde. Ihre Auftragslage hat sich permanent verschlechtert. Die Zahl der von Autorinnen und Autoren produzierten Beiträge in »Forschung Aktuell« sank von etwa 70 im Monat (2013) auf unter 50 (2018). Auch die Honorare für die vielfach ausgezeichnete Sendung »Wissenschaft im Brennpunkt« werden in diesem Jahr durch Umstrukturierungen um mehr als 25 Prozent gekürzt. Trotz der tariflich vereinbarten Honorarerhöhungen sinkt also das Einkommen vieler Fachautoren von Jahr zu Jahr. Jungen, qualifizierten Einsteigern bietet die freie Mitarbeit im Deutschlandfunk keine berufliche Perspektive mehr. Das Prinzip der Fachautoren, die in die Tiefe gehen können, scheint nicht mehr erwünscht zu sein oder wird von den Entscheidungsträgern trotz anderslautender Beteuerungen als überflüssig erachtet.
Außerdem kommen ständig neue Aufgaben auf die Journalisten zu. Sie müssen Beiträge selbst im Studio produzieren, ohne dafür bezahlt zu werden. Techniker stehen kaum noch zur Verfügung. Und auch professionelle Sprecher und Regisseure bei größeren Sendungen werden immer häufiger eingespart. Der Deutschlandfunk hat bereits wichtige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verloren. Durch interne Neuorganisation befürchten die Fachautoren weitere Kürzungen beim Inhalt zugunsten der Online-Präsentation.
Der Intendant antwortete seinen freien Mitarbeitern auf ihren Brief umgehend und freundlich. Er wünscht sich weitere gute Zusammenarbeit, geht aber nicht auf die Argumente ein. Der Deutschlandradio-Hörfunkrat diskutierte im Mai 2018 über die Situation, wollte sich aber der Einschätzung der Fachautoren nicht anschließen. Der Vorsitzende Frank Schildt teilte auf Nachfrage mit, über die Änderungen im Bereich Wissenschaft sei informiert worden. Eine Gefährdung der Programmqualität sehe der Hörfunkrat nicht.
Die Fachautoren sind enttäuscht. Ihre Fähigkeiten werden angeblich gebraucht, aber in immer geringerem Ausmaß angefordert und bezahlt. Sie betrachten sich als einen Grundpfeiler öffentlich-rechtlicher Berichterstattung, auch wenn von höherer Stelle die Anerkennung ausbleibt. Dieser Grundpfeiler bröckelt bereits, und es besteht die ernste Gefahr, dass er bald einstürzt!
„Forschungsfreie“ (25 Autorinnen und Autoren der Sendung „Forschung aktuell“ im Deutschlandfunk)*
Anmerk. der Redaktion: Die Autoren dieses Briefes sind der Meta-Redaktion bekannt. Sie wollten ihren Namen nicht veröffentlicht wissen, da sie befürchten, durch diese Kritik noch weniger Aufträge zu bekommen.
Kommentare
max marquardt schreibt:
29. Juni 2018 um 10:55 Uhr
es ist eine bodenlose frechheit, wie mit hochqualifizierten und der aktuellen berichterstattung verpflichteten journalisten in den anstalten des öffentl.rechtl. hörfunks umgegangen wird.
wer von den verantwortlichen die sowieso schon zur winzigkeit verkommenen wissenschafts- u. technik – sendungen ( z. bsp. buchstäblich 2 stunden!! „computer +kommunikation“ IM MONAT, in DIESEN ZEITEN!!!) noch mehr dezimieren wollte, und das nur wegen fehlender FINANZEN!, der hat den schuss in unserer bildungslandschaft NICHT GEHÖRT und würde in einem vergleichbar solid finanzierten unternehmen auf grund fehlender weitsicht IN DIE WÜSTE GESCHICKT!!!
vom SPAREN in der SPARTE :“WISSEN“ ist JEDER interessierte bürger betroffen.
insofern auch der eigene NACHWUCHS dieser mittelmässig engagierten leitungsebenen. vertagt wird auf kommende generationen.
AUFWACHEN, herrschaften, UMSTEUERN !!!
Thomas Schimming schreibt:
30. Juni 2018 um 01:24 Uhr
Das geht gar nicht. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk hat auch einen BILDUNGSAUFTRAG, den ich zunehmend im Radio und TV stark vermisse. Und dann kreist auch noch beim DLF der Sparhammer wegen einiger Tausend Euro, bei denen man bei sinnlosenTV Produktionen 10 Minuten Programm herstellt.Ich bin prinzipiell für einen öffentlich-rechtlichen Rundfunk, auch für ein Gebührenmodell, aber das jetzige System muss dringend reformiert werden. Und das unter Einbeziehung der Öffentlichkeit. Und endlich einmal Staatsferne und keine Propaganda! Dafür objektive Informationen, Bildung und Diskurs. Das wärs, und das zu einem angemessenem Beitrag.
Antonia Rötger schreibt:
2. Juli 2018 um 02:14 Uhr
Die Entwicklung geht leider schon eine ganze Weile in diese Richtung. Dabei ist es nicht unbedingt das Geld, das fehlt, um freie Journalisten zu bezahlen, denn das kommt ja für öff. rechtliche Sender durch die GEZ. Sondern die Verantwortlichen haben keine Visionen, sind viel zu oft einfach nur BWLer oder Juristen ohne großen Bezug zur Aufgabe von Journalismus. Es fehlt ihnen der Wille, den Wettbewerb um die dämlichste Unterhaltung nicht mitzumachen, sondern stattdessen das zu fördern, das wir als Gesellschaft wirklich dringend brauchen: fundierte Informationen, gründliche Recherchen, kritische Berichterstattung. Bei DLF-Wissenschaft im Brennpunkt höre ich gespannt zu.