Ein Wochenrückblick des Science Media Center, über welche Forschungsergebnisse viele Wissenschaftsjournalisten zeitnah berichten:

Die Vorhersage der Auswahl von Themen seitens der Journalisten gleicht dem täglichen Blick in die Glaskugel. Haben Journalisten das entsprechende Fachjournal auf dem Schirm? Werden sie das Thema aufgreifen und berichten? Wenn ja: mit welchem Dreh? Wenn nein: Kann es sein, dass wichtige entscheidungsrelevante Forschungsergebnisse, über die berichtet werden sollte, übersehen werden? Im Science Media Newsreel dokumentiert das Team des SMC einmal pro Woche rückblickend die kongruenten Wissenschaftsthemen, die aus namentlich genannten Fachzeitschriften in Presseerzeugnissen und Internetangeboten aufgegriffen wurden. Erwähnt werden nur solche Themen, die bei unserem zugegeben unvollständigen Monitoring in mehr als fünf unterschiedlichen Redaktionen mit textlich nicht identischen Berichten aufgegriffen wurden.

 

Biss in Chilischote führt zu Donnerschlag-Kopfschmerz (BMJ Case Reports)

Der Verzehr der schärfsten Chilischote der Welt, Carolina Reaper, kann ein Reversibles Cerebrales Vasokonstriktionssyndrom (RCVS) verursachen. Dabei verengen sich Arterien im Gehirn für einige Tage oder Wochen, was oft mit Donnerschlag-Kopfschmerzen einhergeht. Zu dieser Vermutung gelangen US-amerikanische Mediziner in einem Fallbericht, der am 09.04.2018 im Fachblatt BMJ Case Reports veröffentlicht wurde. Sie beschreiben darin den Fall eines Patienten, bei dem zunächst andere übliche Ursachen der Donnerschlag-Kopfschmerzen ausgeschlossen werden konnten, darunter innere Blutungen im Gehirn, Sinusthrombose oder Dissektion. Zugleich entdeckten die Mediziner mittels Computertomografie eine Verengung von Arterien im Gehirn. Aus alledem schlussfolgerten sie in diesem Einzelfall, dass die beste Erklärung für die Donnerschlag-Kopfschmerzen das Vorliegen von RCVS sei. Da die Symptome zeitnah nach Verzehr einer Chilischote eingesetzt hatten und da Chilischoten bekanntermaßen vasoaktiv wirken, d. h. einen Einfluss auf die Weite der Blutgefäße haben, ziehen die Mediziner im Fallbericht den Schluss, dass die Chilischote das RCVS ausgelöst hat. Es handelt sich um die erste Beschreibung, die einen solchen Zusammenhang vermutet, auch wenn es sich bloß um einen Fallbericht handelt.

Das Thema wurde in mindestens sieben deutschsprachigen Medien aufgegriffen. Die Geschichte des Patienten wird einheitlich berichtet. Die Art und Weise der Diagnose wird nur bei Spektrum.de näher erläutert. Oft wird berichtet, dass auch Cayenne-Pfeffer negative gesundheitliche Auswirkungen haben und sogar zum Herzinfarkt führen kann. Zudem wird eingeordnet, inwiefern Chilis gesundheitsschändlich sein können. Die dpa-Meldungen, die u. a. von der Berliner Zeitung, dem Bonner General Anzeiger und dem Kölner Stadt-Anzeiger aufgegriffen werden, beinhalten hierzu eine Stellungnahme von Charly Gaul, Generalsekretär der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft. Der Experte meint, dass typischerweise Drogen das RCVS auslösen würden und dass der Konsum von Chilischoten unbedenklich sei. Die Berichterstattung in der Frankfurter Rundschau und der Welt sowie auf Standard.at stützen sich auf eine AFP-Meldung und zeichnen ein etwas anderes Bild: Hier wird allein der Mediziner und Co-Autor der Studie Kulothungan Gunasekaran zitiert. Demnach soll die Bevölkerung vorsichtig beim Verzehr von Chilischoten sein und bei ähnlichen Symptomen wie denen des beschriebenen Falles sofort einen Arzt aufsuchen.

Steckbrief

  • Journal: BMJ Case Reports
  • Pressemitteilung: Ja

    Aufgegriffen von:

o  Der Standard (10.04.2018)

o  Die Welt (10.04.2018)

o  Berliner Zeitung (10.04.2018)

o  Bonner Generalanzeiger (10.04.2018)

o  Frankfurter Rundschau (10.04.2018)

o  Kölner Stadt-Anzeiger (10.04.2018)

o  Spektrum.de (10.04.2018)

 

Der Golfstrom (Nordäquatorialstrom) wird schwächer und verändert möglicherweise das Klima in Europa (Nature)

Die Abschwächung des Golfstroms in der vergangenen Dekade ist offenbar Teil einer langfristigen Entwicklung, die hauptsächlich durch das Abschmelzen grönländischer Gletscher im Zuge des Klimawandels ausgelöst wird. Hierdurch sinkt der Salzgehalt des Oberflächenwassers; es wird leichter und sinkt nicht mehr so einfach in die Tiefe herab. Dadurch wird der Golfstrom insgesamt schwächer. Zu diesem Schluss gelangen gleich zwei Studien, die am 11.04.2018 im Fachblatt Nature erschienen sind. Beide bemessen die Stärke der Abschwächung mit 15 Prozent, unterscheiden sich jedoch hinsichtlich des Beginns des Phänomens und datieren diesen auf ca. 1850 bzw. ca. 1950. Dementsprechend sehen beide Publikationen auch andere Ursachen am Werk: Thornalley et al. sehen den Beginn der Abschwächung durch natürliche Klimaveränderungen am Ende der kleinen Eiszeit ausgelöst, was erst später durch Treibhausgase verstärkt wurde; Caesar et al. hingegen sehen ausschließlich den anthropogenen Treibhausgasausstoß verantwortlich. Gemeinsam zeigen beide Studien jedoch erstmals, dass sich die in Klimamodellen postulierte Abschwächung des Golfstromes tatsächlich in den historischen Daten wiederfindet.

Die Studien fanden eine weite Verbreitung in deutschsprachigen Medien: Über die Ergebnisse berichten mindestens acht Medien diskutiert. Die detaillierteste Auseinandersetzung gibt es in der Süddeutschen Zeitung. Hier wird die Methode der beiden Studien recht genau beschrieben, insbesondere, wie die Daten in Zusammenhang mit dem Klimawandel gebracht werden können. Ähnlich wie in vielen anderen Berichten – z. B. in der Welt, in der taz oder im Deutschlandfunk – fragt die SZ zudem nach möglichen Konsequenzen einer Abschwächung und nennt hier etwa Hitzewellen in Europa. Oft betonen die Medien auch den Unterschied in der Ursachendiagnose zwischen den beiden Studien. So berichtet die Welt, die Ursache für die Abschwächung sei nicht eindeutig, da in einer der Studien mit dem Ende der kleinen Eiszeit natürliche Ursachen als Hauptauslöser gehandelt werden. Auch im DLF wird gefragt, ob sich die Studien hier widersprechen. Dies verneint im Interview Klimaforscher Stefan Rahmstorf vom Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung, der als Co-Autor insgesamt häufig zu den Studien zitiert wird. Nur einmal wird die Aussagekraft der Studienergebnisse generell hinterfragt: So wird Mojib Latif vom Kieler Geomar Institut in der taz mit der Aussage zitiert, dass es keinen Trend in die eine oder andere Richtung gäbe und die neuen Daten daran nichts änderten.

 

Steckbrief

–      Journal: Nature (zwei Studien)

–      Pressemitteilungen: Ja

    Aufgegriffen von:

o   MDR online (11.04.2018)

o   Welt online (11.04.2018)

o   Stuttgarter Zeitung (11.04.2018)

o   BR online (11.04.2018)

o   taz (11.04.2018)

o   AFP (11.04.2018)

o   Die Welt (12.04.2018)

o   Süddeutsche Zeitung (12.04.2018)

o   DLF Forschung aktuell (12.04.2018)

o   Berliner Zeitung (12.04.2018)

 

Auch ein wenig Alkohol verkürzt das Leben (Lancet)

Alkoholkonsum führt schon in viel kleineren Mengen als bisher vermutet zu einer merklich verringerten Lebenserwartung. Der Konsum von höchstens 100 Gramm pro Woche – was etwa fünfeinhalb Gläsern Wein oder fünf 0,5l-Flaschen Bier entspricht – ist „risikoarm“. Dies ist das Resultat einer Studie, die am 14.04.2018 in der Fachzeitschrift Lancet veröffentlicht wurde. Ein Team internationaler Wissenschaftler hatte die Daten aus Langzeit-Datensätzen von fast 600 000 Alkoholkonsumenten aus 19 wohlhabenden Ländern analysiert. Die Daten beinhalten auch Informationen zu anderen möglichen Risikofaktoren wie Diabetes oder Alter, sodass deren Einfluss herausgerechnet werden konnte. Das Ergebnis: Im Alter von 40 Jahren haben jene Konsumenten, die 100 bis 200 Gramm pro Woche Reinalkohol zu sich nehmen – im Vergleich zur denen, die nur 0 bis 100 Gramm pro Woche trinken – eine sechs Monate kürzere Lebenserwartung. Bei 200 bis 350 Gramm pro Woche sind es ein bis zwei Jahre. Bei mehr als 350 Gramm pro Woche Reinalkohol verkürzt sich die Lebenserwartung um vier bis fünf Jahre. Da offizielle Richtwerte für risikoarmen Konsum vielerorts deutlich über dem errechneten Schwellenwert von 100 Gramm Reinalkohol pro Woche liegen, empfehlen die Studienautoren, die Richtwerte zu senken.

In sehr vielen deutschsprachigen Medien wurde diese Studie aufgegriffen. Die Berichterstattung hebt kongruent die neuen Erkenntnisse zur verringerten Lebenserwartung hervor und kontrastiert den von den Wissenschaftlern vorgeschlagenen Grenzwert von 100 Gramm pro Woche mit den meist deutlich höheren aktuellen Grenzwerten. Einige Artikel, etwa in der NZZ, bei WDR.de, bei DLF online und bei Zeit Online, machen darauf aufmerksam, dass die Studie im Gegensatz zu älteren Untersuchungen keine Unterschiede zwischen Frauen und Männern hinsichtlich der Effekte festgestellt hat. Zeit Online diskutiert außerdem mögliche Verzerrungen der Studie, wie etwa fehlerhafte Selbstangaben des Alkoholkonsums durch die Teilnehmenden. Schließlich erörtert sie ähnlich wie der DLF das Potenzial von Warn-Etiketten auf alkoholischen Produkten als Maßnahme gegen schädlichen Konsum.

Das Science Media Center Germany hat an die akkreditierten Journalisten ein „Research in Context, um die Publikation besser einordnen zu können. Die Experten-Statements im Angebot wurden vielfach zitiert. Drei der fünf Experten wurden in einem dpa-Bericht zitiert und fanden sich somit auch in zahlreichen Regionalzeitungen wieder. Die meisten Artikel zitieren PD Dr. Hans-Jürgen Rumpf, um die Aussagekraft und Korrektheit der Studie zu untermauern. Vielfach wird auch auf das Statement von Dr. Michael Roerecke zurückgegriffen, in dem die generelle Schädlichkeit des Alkoholkonsums betont und speziell das Brustkrebs-Risiko für Frauen hervorgehoben wird. Auch Dr. Cornelia Lange vom Robert Koch-Institut wird einige Male in diesem Zusammenhang zitiert mit der Bemerkung, dass die Studie zum Anlass genommen werden könnte, bestehende Grenzwerte zu überarbeiten. Der Deutschlandfunk sendete auch ein Interview mit ihr als Gesprächspartnerin.

Steckbrief

–          Journal: The Lancet

–      Pressemitteilungen: Ja

        Aufgegriffen von:

o   WDR (13.04.2018)

o   Tagesschau.de (13.04.2018)

o   Deutschlandfunk (13.04.2018)

o   Zeit Online (13.04.2018)

o   Der Standard (13.04.2018)

o   Welt Online (13.04.2018)

o   Science.orf (13.04.2018)

o   Spiegel Online (13.04.2018)

o   Rheinische Post online (13.04.2018)

o   Stuttgarter Zeitung (13.04.2018)

o   NTV.de (13.04.2018)

o   Stern (13.04.2018)

o   Augsburger Allgemeine (17.04.2018)

 

Protokoll: Hendrik Boldt