Woher stammen all die wissenschaftlichen Videos im Netz? Wer finanziert und wer konsumiert sie? Welche Trends gibt es? Diesen Fragen geht das kostenlose E-Book „Web Video Wissenschaft“ nach. Ein Interview mit Thilo Körkel, Mitherausgeber des E-Books. VON CLAUDIA RUBY
Im Netz finden sich nicht nur Massen von Katzenvideos, sondern auch eine Fülle von wissenschaftlichen Werken, Animationen, Erklärfilmen. Gleichzeitig gibt es kaum eine Arbeit, die sich systematisch mit diesen Werken, ihren Produzenten und Konsumenten beschäftigt. Was hat Sie an den Webvideos begeistert?
Die Idee entstand bei der Arbeit an SciViews, und dabei ist mir einfach klar geworden, was das Netz an Bewegtbild zu Wissenschaftsthemen zu bieten hat. Man sieht so viel: Was soll das? Woher kommt das? Was kann man daraus lernen? Was heißt das für den normalen Nutzer? Wir sind auch auf viel Antiwissenschaftliches und Pseudowissenschaftliches gestoßen. Man stößt auf viel PR, und da ein bisschen Ordnung reinzubringen, das war Ausgangspunkt für das Buch.
Wie kann ich mir das vorstellen: Haben Sie zur Recherche dann wochenlang Wissenschaftsvideos im Netz angeschaut?
Die intensive Beschäftigung mit den Videos hatte schon vorher im Rahmen meiner Arbeit für SciViews stattgefunden. Da lag es nahe, die dort gewonnenen Eindrücke einmal systematisch zusammenzustellen. Die Arbeit für das Buch bestand dann darin, dass man geeignete Autoren findet. Es gibt noch nicht viele Personen, die sich an dieser Schnittstelle von Journalismus, Wissenschaft und Film intensiver mit diesem Thema auseinandergesetzt haben.
Das Buch deckt ja ganz unterschiedliche Themen ab. Nur ein paar Beispiele aus dem Inhaltsverzeichnis: „Wo Wissenschaft auf Populärkultur trifft“; „Als Print das Filmen lernte“ oder „Eine Typologie der Wissenschaftskommunikation auf Youtube und Co“. Was hat Sie selbst am meisten überrascht?
Durch die Arbeit an dem Buch wurde mir überdeutlich, dass auf Youtube & Co letztlich keine Redaktion stattfindet. Vorher war mir das nicht so gegenwärtig, weil ich auf YouTube sehr selektiv vorgehe und das meiste, was ich dort zu Gesicht bekomme, einfach innerlich ausblende. Aber das macht ja nicht jeder so, und deshalb bekommen auch unseriöse Videos zum Teil großen Zuspruch. Der Nutzer sieht sich Auge in Auge dem gegenüber, der dort eine Botschaft zu verbreiten hat. Als Wissenschaftsredakteure haben wir ein enges Verhältnis zum Thema Wissenschaft und versuchen, das seriös darzustellen.
Und diese Seriosität haben Sie im Web vermisst?
Auf Youtube stellt man fest, dass auch wissenschaftliche Themen einfach anfällig sind für Interessen. Mal ist es reine PR, dann gibt es Videos, die bewusst fragwürdige oder falsche Informationen verbreiten oder die steile Thesen verkaufen, als wären sie belegt. Und letztlich sind auch die Konzerne längst aktiv, die rücken sich auf Youtube mit wissenschaftlichen Themen ins beste Licht. Und ich bezweifle, dass die Medienkompetenz des durchschnittlichen Nutzers ausreicht, um angemessen zu beurteilen, was man auf Youtube eigentlich konsumiert.
Das ist ja ein Thema, das wir heute in fast allen Medienbereichen diskutieren, insbesondere bei den sogenannten sozialen Medien…
Ja, und ich habe dafür auch keine Lösung. Aber ich glaube, dass die althergebrachte Teilung von redaktionellen Inhalten und PR eigentlich eine gute Einrichtung war. Und dass im Moment die Debatte erst losläuft. Der redaktionelle Filter, der früher vorgeschaltet war, existiert jetzt nicht mehr, und dafür wird man Lösungen finden müssen.
Wie gehen denn die Konsumenten – die Zuschauer also – damit um? Können sie unterscheiden, was ihnen da im Netz begegnet? Haben sie vielleicht sogar eine gesunde Skepsis gegenüber Werbung?
Wir wissen viel zu wenig darüber. Bei den Medienwissenschaftlern wird es mittlerweile als Defizit wahrgenommen, dass man nicht viel über die Konsumenten weiß. Da befindet man sich tatsächlich erst am Anfang. Eine interessante Frage wäre ja zum Beispiel: Wie nimmt ein Jugendlicher das Thema Wissenschaft als solches wahr, wenn er über das Thema vor allem dadurch informiert wird, dass er auf Youtube von Schnipsel zu Schnipsel klickt?
Und, wie nimmt er es wahr?
Da gibt´s keine Antwort drauf.
Es gibt ja einen Bereich, in dem genau das stattfindet, was Sie vermissen: Das öffentlich-rechtliche Fernsehen produziert Wissenschaftsbeiträge unter redaktioneller Kontrolle. Warum haben Sie diesen Bereich in ihrem E-Book außen vor gelassen?
Das war schlicht ein Zeitproblem. Uns hat das Internet interessiert, weil es da einfach neue Entwicklungen gibt. Vor allem wollten wir uns auf Inhalte konzentrieren, die unter entsprechenden Produktionsbedingungen ausdrücklich fürs Web produziert wurden.
Jetzt ist das zwar nicht der primäre Ausstrahlungsweg, aber Sendungen wie Terra X, Quarks & Co oder Odysso finden sich ja auch bei Youtube – und haben da ganz beachtliche Abrufzahlen.
Sagen wir mal so: Die öffentlich-rechtlichen Mediatheken bieten weiterhin das meiste Material, das sich als kritischer Qualitätsjournalismus beschreiben lässt. Reine Youtube-Formate, die kritischen Journalismus betreiben, sind sehr selten. Wenn man tatsächlich gute Beiträge sehen möchte, muss man tendenziell zu den Öffentlich-Rechtlichen gehen. Insofern ist das tatsächlich ein Defizit dieses Buches, aber letztlich ließ sich das nicht anders machen.
In einem Text taucht das Fernsehen dann doch auf. Philipp Hummel setzt sich mit einem Fall auseinander, bei dem die Nähe zwischen einer Sendung und einer wissenschaftlichen Institution offenbar zu eng war.
Das stimmt schon – gute Beobachtung, dass das Fernsehen nur in diesem Zusammenhang vorkommt. Aber das war kein geplanter Beitrag, sondern das ist einfach bei der Recherche aufgefallen. Und da haben wir uns aus guten Gründen dazu entschlossen, das ins Buch aufzunehmen.
Das Netz ist ja voll von Beiträgen mit wissenschaftlichem Bezug. Wo kommt das ganze Material eigentlich her? Wer finanziert das?
Da sind zum einen die Forschungsorganisationen, die Filme ins Netz stellen. Die haben wachsende Marketing- und PR-Budgets und können es sich leisten, solche Filme zu produzieren und kostenfrei zu veröffentlichen. So kommt viel ins Netz. Es gibt die großen Firmen, die das machen. So kommen weitere Filme ins Netz. Bei den typischen Wissenschafts-Youtubern sind die erfolgreichsten Formate diejenigen, in denen ein Moderator sehr authentisch vor der Kamera agiert, starke Ausstrahlung hat, sein Publikum an sich bindet und typischerweise auch mit wenig Filmmaterial auskommt. Er ist der Film, die Kamera hält auf ihn, und so etwas lässt sich kostengünstig erstellen.
Heißt das, dass sich der Markt im Wesentlichen in teure Produktionen aufteilt, die dann aber oft einen PR-Hintergrund haben – und auf der anderen Seite sozusagen steht das, was private Youtuber im Bereich Wissenschaft anbieten?
Ja, in etwa. Wenn man sich zum Beispiel eine aufwändige Animation anschaut, dann ist dieses Video oft genug gesponsert von einem Unternehmen, zum Beispiel aus der Pharmaforschung. Aufwändige Animationen von Biomolekülen muss man professionell und für teures Geld produzieren lassen. Das ist das, was der Youtuber in der Regel nicht selbst leisten kann.
Und welche Themen findet man?
Das Themenspektrum ist sehr breit. Was man häufig findet, sind Astronomie und Physik. Man sieht sehr häufig Molekularbiologie, Genetik, Hirnforschung. Was auch häufig ist, sind Themen wie Klima- und Meeresforschung. Die haben einfach per se sehr starke Bilder, und da tritt der wissenschaftliche Inhalt etwas in den Hintergrund. Was man eher weniger im Netz sieht, das sind abstraktere Themen wie Mathematik, Informatik, Materialforschung, Chemie. Bei der Mathematik ist es vielleicht noch mal ein Spezialfall – wenn man da eine Weile sucht, findet man auch sehr sehenswertes Material. Das bezieht sich dann vor allem auf Teilbereiche der Mathematik, die sich gut bebildern lassen, sprich Geometrie.
Jetzt ist meta ja ein Magazin, das viele Wissenschafts-Journalisten lesen, auch viele freie Journalisten: Entsteht hier vielleicht ein neues Arbeitsfeld für Journalisten?
Sie meinen für die Produktion dieser Filme?
Ja, genau.
Ich halte das für sehr schwierig. Es gibt im Moment kaum eine Möglichkeit, solche Videos zu refinanzieren. Das ist ein Problem, denn wer journalistische Beiträge macht, kann die kaum an einen Verlag verkaufen, weil der Verlag keine Möglichkeit hat, mit den Videos wieder Geld einzunehmen. Deshalb halte ich das für ein schwieriges Feld.
Konnten Sie denn etwas aus der Arbeit an dem Buch und den Erkenntnissen, die Sie bei der Recherche gewonnen haben, in ihren Redaktionsalltag übernehmen?
In der Printredaktion von Spektrum spielen Videos eine sehr kleine Rolle, in der Online-Redaktion ist es mehr. Aber wir produzieren nicht selbst, wir binden ein, aber das ist letztlich eine kleine Zahl von Beiträgen. Bei SciViews ist das ganz anders, da spielt das Video die zentrale Rolle. Wir suchen aus, wir schauen an, wir wählen als Redaktion aus, wir laden dann Fachjournalisten ein, diese Videos kurz vorzustellen und zu rezensieren. Und die Kollegen sind aufgefordert, diese Videos kritisch zu hinterfragen, auf mögliche Fehler hinzuweisen und auch klar den Absender des Videos zu benennen.
Das heißt, Sie übernehmen quasi die Redaktion, die es bei der Produktion dieser Videos in aller Regel nicht gab.
Wir liefern den Kontext, kann man sagen. Es ist unsere Aufgabe, durch die Texte eine gewisse journalistische Qualität sicherzustellen, die in den Videos selbst nicht unbedingt zu finden ist. Wenn ein Video eingebettet ist in einen journalistischen Artikel oder eingebettet ist in ein Fernsehmagazin, dann muss das kein Problem sein. Wenn man sich aber alleine auf Youtube informiert, was ja nicht selten der Fall ist, dann ist das natürlich problematisch. Dann hangelt man sich von Schnipsel zu Schnipsel, bekommt den Kontext nicht mit, und bekommt letztlich ein verzerrtes Bild.
Das Buch ist ja mittlerweile schon einige Zeit im Netz. Wissen Sie, wie es beim Publikum ankommt?
Man weiß es nicht. Leider. Wir haben 400 Downloads gezählt, aber praktisch keine Rückmeldungen bekommen.
Thilo Körkel ist Diplom-Physiker und im Hauptberuf Redakteur bei Spektrum der Wissenschaft. Er ist außerdem zuständig für das Videoportal SciViews. Das E-Book „Web Video Wissenschaft“ hat er gemeinsam mit Kerstin Hoppenhaus herausgegeben. Es ist im Rahmen des Programms „Neue Wege im Wissenschaftsjournalismus“ der Robert Bosch Stiftung entstanden – und steht im Netz zum kostenlosen Download zur Verfügung.
Claudia Ruby ist Biologin und im Vorstand der WPK. Seit dem Ende ihres Volontariats beim WDR arbeitet sie als freie Umwelt- und Wissenschaftsjournalistin für öffentlich-rechtliche Sender. Folge Claudia Ruby