Wälzen sich im Bauch der Erde wirklich „Ströme zähflüssigen Gesteins“? Oder weckt ein solches Bild bei Laien falsche Vorstellungen? Diese Frage stellte ein Leser Axel Bojanowski von spiegel-online. Er antwortet. Ausführlich. Und grundsätzlich. VON AXEL BOJANOWSKI

blog logo Cropped(1)Kürzlich erhielt ich einen kritischen Leserbrief, weil ich in diesem Artikel schrieb, Gestein im Erdmantel bewege sich zähflüssig, obwohl es sich genau genommen plastisch verhält. Dann hatte ich mich nach einiger Zeit entschieden, meine ausführliche Antwort in meinen Blog zu stellen, weil sie doch einige grundlegende Erläuterungen zu wissenschaftsjournalistischen Texten enthält.

Ich freue mich, dass der Text nun auch auf Meta erscheint, vielleicht ergibt sich hier ja eine Debatte zu dem schwierigen Thema. Kollegen haben mich übrigens mittlerweile darauf hingewiesen, dass die Glas-Metapher nicht funktionieren würde, weil Glas gar nicht fließt. Alles also noch komplizierter!

Der Leserbrief von Andreas Möller vom: 10.05.2016, 17:48

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Im Artikel ist oft von zähflüssigem Material im Erdmantel die Rede: „Im Bauch der Erde wälzen sich riesige Ströme zähflüssigen Gesteins.

……..Durchbrechen die Magmablasen den Untergrund, wachsen Vulkane.“

Magma ist flüssiges Gestein.  Die Wortwahl erweckt den Eindruck, der Erdmantel bestehe aus zähflüssigem Material.  Das ist nicht der Fall und eine der häufigsten Fehlannahmen, auch von Studenten, die Geologie-Vorlesungen hören.

Der Erdmantel ist fest, aber plastisch verformbar, und bewegt sich – wie korrekt beschrieben – sehr langsam durch die Aufheizung vom sehr heissen Erdkern.  Das Aufschmelzen dieser festen, aufsteigenden Gesteinsmassen findet erst statt, wenn sich das Gestein in ca. 60 km Tiefe befindet, und setzt sich dann weiter fort, weil die Schmelztemperatur mit sinkendem Druck abnimmt.

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Sehr geehrter Herr Möller,

herzlichen Dank für Ihren Brief, in dem Sie auf die sprachliche Unschärfe für einen wissenschaftlichen Sachverhalt in meinem Artikel aufmerksam machen. Ich hatte mir Ihr Schreiben zurückgelegt, weil ich auf das Problem näher eingehen wollte, es ist ein fundamentales. Lassen Sie mich also erläutern, warum ich von zähflüssigem Gestein im Erdmandel schreibe, das sich in Jahrmillionen Richtung Erdoberfläche bewegt – wohl wissend, dass es sich um plastisches Gestein handelt.

In älteren Texten nutzte ich eine andere Metapher, ich schrieb, dass Gestein des Erdmantels bewege sich ähnlich wie Glas: „Eine alte Fensterscheibe ist am unteren Ende dicker als am oberen, weil Glas unmerklich fließt.“ Aber auch daraufhin erhielt ich kritische Leserbriefe, die entweder misstrauisch fragten, seit wann Glas denn flösse, oder sie unkten, dass es auf die Glasart ankäme, oder sie kritisierten, dass Glas doch nach unten strömte, das Gestein im Erdmantel aber auch nach oben.

Warum also nicht einfach schreiben, wie es ist, werden Sie vermutlich einwenden: Das Gestein im Erdmantel ist fest, verhält sich aber plastisch, fließt also nur über lange Zeiträume gesehen. Ich fürchte, dass fachlich nicht gebildete Leser, diesen Satz nicht recht verstehen würden, aus mehreren Gründen: Die Bedeutung von „plastisch“ dürfte vielen unbekannt sein, schließlich ist es ein Begriff, der im Alltag üblicherweise nicht vorkommt.

Eine Alternative zu „plastisch“ wäre „formbar“. Aber „formbares Gestein im Erdinneren“? Weckt „formbar“ nicht die Assoziation eines Formenden, eines Subjekts? Wäre „formbar“ wirklich unmittelbar selbsterklärend? Ich glaube es nicht.

Zweitens: Was bedeutet „lange Zeiträume“? Selbst wenn ich schreiben würde, das feste Gestein des Erdmantels fließe/ströme/bewege sich plastisch über Millionen von Jahren, es sei formbar, bliebe für nicht vorgebildete Leser als drittes Problem der scheinbare Widerspruch, dass festes Gestein formbar ist, also fließt. Der Leser würde zu Recht fragen: Wie kann feste Substanz formbar sein?

Die korrekten Formulierungen würde also Fragen aufwerfen. Ein Text aber, der Fragen aufwirft und sie unbesprochen stehen lässt, ist ein unbefriedigender, ein verwirrender, ich würde sagen: ein schlechter Text. Schließlich geht es darum, Zusammenhänge aufzuhellen, nicht sie zu mystifizieren.

An dieser Stelle setzt die entscheidende Kritik an der Verwendung von Metaphern an: Was erklären sie schon, wenn sie Sachverhalte doch gar nicht präzise schildern? Es gebe eine „Realität jenseits der Metapher“, habe ich mal gelesen beim Biologen David Baltimore, der damit auf das Problem hinweisen wollte, dass Metaphern nicht die ganze Wahrheit sind.

Wären nicht vielleicht Bilder des Malers Max Beckmann eine gute Metapher für Metaphern? Dicke schwarze Striche verdeutlichen die Konturen, aber übertünchen sie auch, verwischen die Realität. In Metaphern über Wissenschaft zu sprechen, bedeute den Preis „ewiger Wachsamkeit zahlen zu müssen“ – so hat sich jedenfalls der Kybernetiker Arturo Rosenblueth mal geäußert. Ihre Wachsamkeit, Herr Möller, wäre demnach die logische Reaktion auf sprachliche Unschärfe, die zu Recht Misstrauen hervorriefe, ob der Sachverhalt nicht verfälscht worden ist.

Leider liegen die meisten Erkenntnisse der Naturwissenschaften außerhalb der üblichen Alltagserfahrungen. Selbst Experten haben nicht selten Probleme, Fachbüchern Zeile für Zeile zu folgen. Deshalb sind ja auch Wissenschaftler seit jeher kreativ bei der Erfindung von Metaphern: Schwarzes Loch, Egoistisches Gen, Ozeanförderband, Chaos-Theorie, Genetischer Code, das Buch des Lebens, Überleben des Stärkeren, Gottesteilchen, die Geschmacksrichtungen von Elementarteilchen und viele andere unscharfe Begriffe wurden von Wissenschaftlern ersonnen und stehen im Lehrbuch.

Metaphern seien schlicht „essentiell“, um Wissenschaft betreiben und unterrichten zu können, hat der Wissenschaftspsychologe Robert Root-Bernstein mal gesagt. Der Biologe Paul Hebert wurde deutlicher, er fragte: „Warum sollten wir so wissenschaftlich exakt sein, dass unsere Forschung öde erscheint?“

Ein britischer Journalistenkollege erzählte einst die Geschichte von seinem Artikel, in dem er einen Stern als „aufgedunsen und gichtkrank“ beschrieben hatte. Die beiden Metaphern sollten verdeutlichen, dass sich der Stern ausdehnt, seine Struktur dabei an Dichte verliert. Der Kollege erzählte, ein Forscher hätte auf den Artikel geantwortet, ein Stern könnte doch gar nicht gichtkrank sein, weil Sterne keine Harnsäure produzierten. Er meinte es ernst.

Ich glaube, man muss unterscheiden, ob man Wissenschaft erzählen oder darstellen will. Bei der exakten Darstellung können Metaphern hinderlich, ja destruktiv sein. Beim Erzählen müssen jedoch die Regeln guter Geschichten gelten, also Poesie, Spannung, Sprache, Assoziationen aus der Welt des Lesers, Verknüpfungen mit der Alltagswelt. Ansonsten scheitert das Erzählen, es wäre vergeblich.

Der Begriff „zähflüssig“ ist im betreffenden Zusammenhang so unbestimmt, dass er nicht falsch ist: Denn ab welchem Zeitpunkt darf eine träge und formbare Substanz nicht mehr als zäh bezeichnet werden? Das Gestein bewegt sich in extrem langsamer Fließbewegung, man kann den Vorgang demnach durchaus (und „mit Zähneknirschen“, um eine doofe Metapher zu gebrauchen) als sehr, sehr zähes Fließen bezeichnen. Deshalb würde ich, solange Ihnen oder mir nichts Besseres einfällt, weiterhin vom zähflüssigen Gestein im Erdinneren schreiben.

Oder finden Sie die Glas-Metapher besser? Oder eine andere? Über Ihre Meinung würde ich mich freuen. Und sorry für die jetzt doch sehr ausufernde Antwort; ich hatte gerade Zeit.

Mit freundlichen Grüßen,

Axel Bojanowski

Axel BojanowskiDer Autor ist Wissenschaftsredakteur bei spiegel-online.