Allmählich wird sich die Wissenschaft gewahr, dass sie sich selbst ändern muss, wenn sie glaubwürdiger Aufklärer sein will. Zeit umzusteuern. VON MARKUS LEHMKUHL
Es gibt Aufklärer, bei denen reichen Stichworte, um Ihnen richtig miese Stimmung zu machen: Energiewende, Homöopathie, Brustkrebsscreening, Klimaskepsis, Masernparty, Bioeier… Was sich bei dem einen oder anderen breit macht, wenn er solche Stichworte hört, ist eine Art Leiden an der Unvernunft, ein Frösteln ob der Ignoranz, ein bohrender Ärger über das Doofe, das Irrationale. Und – wer will es den Besserwissenden verdenken – eine Art Missionseifer kommt auf: Man will es denen da draußen erklären, man will, dass sich etwas ändert.
Viele Wissenschaftler sehen sich als Aufklärer. Sie sind schließlich diejenigen, die wissen, dass Schweine, Hühner wie auch Menschen von Impfungen nicht autistisch werden. Sie sind diejenigen, die sich nicht Schaffelle in die Wohnung hängen, um sich gegen Handystrahlung zu schützen, weil sie wissen, dass das nichts nützt. Sie essen auch keine Kügelchen zum Abendbrot, sie wissen, dass Bioeier nicht gesünder sind. Sie – die Wissenschaftler – repräsentieren jene Instanz, die in der Lage ist, bloßes Glauben oder Fühlen mit Wissen zu kontrastieren. Sie verfügen über wissenschaftliches Wissen, das für die Anleitung von Handlungen besser geeignet ist als andere Wissensformen. Sie können emotionale Debatten rationalisieren, ihr Wissen kann Irrwege verhüten…, wenn, ja wenn da nicht die anderen wären, die Ihre Mühen hintertreiben, Journalisten, irrlichterne Aktivisten, Facebook-Foren, begriffsstutzige Politiker, generell alle Idioten dieser Welt, die den Leuten Sand in die Augen streuen.
Das ist natürlich eine Überzeichnung. Aber so ungefähr hat die Wissenschaft ihren Aufklärungsanspruch bisher gesehen: Der Fels der Weisheit, gegen den ein Ozean voller Blödheit brandet. Von den Kommunikationsprofis erwartet diese Wissenschaft Hilfe, sie erwartet Rezepte, wie man den Aberglauben, all den Unsinn, wie man den Ozean der Irrationalität trocken legt. Solche Rezepte gibt es aber nicht. Es gibt glücklicherweise keine Antwort auf die Frage, wie Botschaften gestrickt sein müssen, damit Menschen tun, wozu Wissenschaftler ihnen raten. Es gibt halt einige Menschen, die lassen sich und ihre Kinder nicht impfen, es gibt Menschen, die glauben nicht an einen anthropogenen Klimawandel, es gibt Menschen, die fürchten sich vor Handystrahlen und hängen sich Lammfelle in die Wohnung.
Die Herausforderung ist nicht die unwissende Bevölkerung
Aufklärung, aber wie? Dazu habe ich eine relativ feste Meinung, die sich allerdings nur sehr bedingt mit harter empirischer Evidenz unterfüttern lässt. Soweit ich weiß, gibt es keine randomisierten Doppelblindstudien, aus denen abzuleiten wäre, wie die Wissenschaft ihren Aufklärungsanspruch erfüllen sollte. Trotzdem behaupte ich, dass die Zumutungen einer modernen Wissenschaftskommunikation nicht darin bestehen, dass viele Menschen nicht wissen, dass auch genetisch nicht manipulierte Tomaten Gene enthalten, dass es bisher keinen Wirkungsnachweis gibt für homöopathische Arzneien, dass viele Menschen immer noch rauchen und auch nicht darin, dass Mythen über das Impfen im Internet oder anderswo kursieren. Sie bestehen auch nicht darin, dass finstere Medienstrategen ihr Geschäft mit der Angst machen und permanent Impfrisiko rufen, damit alles auf die Bäume flüchtet. Es gibt keinen Anlass anzunehmen, dass radikale Tierschützer oder Impfgegner oder Klimaskeptiker durch gute, wissenschaftlich fundierte Argumente darin bestärkt werden könnten, ihre Kritik differenzierter oder gar abgeschwächter in die digitalen Foren eines höchst vitalen Ideologisierungsgeschehens einzuspeisen.
Gesellschaftliche Relevanz als Kriterium, nicht größtmögliche Aufmerksamkeit
Die Herausforderung einer verständigungsorientierten, aufklärenden Wissenschaftskommunikation besteht aus etwas anderem. Sie besteht darin, sich von dem mehr oder minder selbst auferlegten Zwang zu befreien, mit wissenschaftlichen Botschaften öffentliche Resonanz erzeugen zu wollen. Verständigungsorientierte Wissenschaftskommunikation darf das, was sie sagt und wie sie es sagt, nicht durch Erwägungen beschweren, was irgendwelche Zielgruppen interessieren könnte oder was die Wahrscheinlichkeit vergrößert, dass es in der Zeitung steht. Stattdessen muss sie sich darauf konzentrieren, gesellschaftlich relevante wissenschaftliche Informationen von irrelevanten zu unterscheiden und diese relevanten Informationen sachadäquat und für Laien verständlich aufzubereiten.
Zur Veranschaulichung möchte ich ein Beispiel nennen, das schon längere Zeit zurückliegt. Im Herbst 2005 diskutierte Deutschland über das Für und Wider eines Verbotes des Rauchens in öffentlichen Räumen und in Gaststätten. Damals wartete das Deutsche Krebsforschungszentrum mit einer Studie auf, in der es verkündete, Jahr für Jahr stürben 3301 Menschen an den Folgen des Passivrauchens, 60 von ihnen seien Säuglinge. Das seien mehr als „durch illegale Drogen, Asbest, BSE und SARS zusammen“. Diese Information wurde mit der Forderung garniert, Deutschland müsse handeln.
Ich glaube, dass man schon aus diesen wenigen Informationen erschließen kann, dass es sich um eine wissenschaftsbasierte Aufklärung handelte, die Sachadäquatheit und Verständlichkeit ganz klar einer erwünschten gesellschaftlichen Wirkung nachgeordnet hat. Falls nicht, zitiere ich den Teaser eines Features, das kurze Zeit danach auf Zeit Online erschienen ist:
Das Deutsche Krebsforschungszentrum macht Politik gegen das Passivrauchen. Leider bedient sich das Institut dafür zweifelhafter Botschaften – und einer Studie, die keine ist.
Mit anderen Worten: Es handelt sich hier um ein Beispiel, wie man den wissenschaftlichen Aufklärungsanspruch besser nicht ausfüllen sollte, wenn man nicht Gefahr laufen will, das wichtigste im öffentlichen Diskurs einzubüßen, nämlich Glaubwürdigkeit.
Die Wissenschaft hintertreibt ihren Aufklärungsanspruch selbst
Ich komme auf meine Kernthese zurück: Verständigungsorientierte Wissenschaftskommunikation mit aufklärerischem Anspruch muss ihre Anstrengungen im eigenen Interesse von jedem Missionseifer freihalten und sich stattdessen auf Relevanz, Sachadäquatheit und Verständlichkeit konzentrieren. Dieser Kernthese liegt die Problemwahrnehmung zugrunde, dass der Aufklärungsanspruch der Wissenschaft nicht vorrangig durch Instanzen hintertrieben wird, die außerhalb der Wissenschaft liegen, Massenmedien zum Beispiel, die Kampagnen machen oder dergleichen, oder wirre Geister, die das Internet unsicher machen. Die Wissenschaft hintertreibt ihren Aufklärungsanspruch vielmehr selbst, und zwar strukturell und nachhaltig. Angespielt wird damit auf die Dynamik der Wissensgenese und des Reputationserwerbs, die geeignet ist, die Wissenschaft als gesellschaftliche Ressource für verlässliches Wissen zu entwerten.
Der Anspruch der Wissenschaft, aufzuklären, ist von mehreren Voraussetzungen abhängig. Der wohl wichtigste besteht darin, dass Wissenschaft über „aufklärungs-geeignetes“ Wissen verfügen muss, d.h. es müssen Wissensbestände vorhanden sein, die mit Blick auf die Lösung eines gesellschaftlichen oder individuellen Problems geeignet sind. Überspitzt formuliert: Das Wissen muss geeignet sein, die Zahl möglicher Handlungsalternativen sehr deutlich zu beschränken. Dies setzt allerdings voraus, dass die Wissenschaft eindeutig zu interpretierendes Wissen bereitstellt. Der Reputationserwerb innerhalb der Wissenschaft läuft allerdings dieser Notwendigkeit entgegen.
Angespielt wird darauf, dass wissenschaftlicher Erfolg ganz wesentlich davon abhängt, wie viel, wo und mit welchem Impact publiziert wird. Die Orientierung an der Zahl der Publikationen führt gemeinsam mit einer Vergrößerung des wissenschaftlichen Sektors und einer andauernden, sich immer weiter verzweigenden Spezialisierung innerhalb der Wissenschaft zu einer tendenziell immer größeren Ausweitung des wissenschaftlichen Publikationswesens (Bornmann & Mutz, 2014). Die Orientierung an den Impact Faktoren als Indikator für Qualität sorgt dafür, dass wissenschaftliche Arbeiten in jene Journals drängen, deren Impact relativ hoch ist. Dies setzt mindestens eine Reihe von einflussreichen Journals in die Lage, aus einer großen Zahl von Einreichungen auswählen zu können, wobei über die redaktionellen Selektionsroutinen von Journals wie Science, Nature, Lancet und anderen im Detail wenig bekannt ist. Es darf aber ziemlich sicher davon ausgegangen werden, dass diese Auswahlroutinen Wissensbehauptungen begünstigen, die mutmaßlich möglichst großen Neuigkeitswert und möglichst große, gerade auch außerwissenschaftliche Aufmerksamkeit nach sich ziehen.
Falsche Anreize im Wissenschaftssystem
Damit setzt die Steuerung des Reputationswesens innerhalb der Wissenschaft mindestens punktuell Anreize, nicht Bekanntes zu bestätigen oder zu falsifizieren, sondern immer wieder Neues zu implementieren (Fanelli, 2012). Abstrakter formuliert, fördert die Steuerung des Reputationswesens nicht die dynamische Überführung von Mehrdeutigkeit in Eindeutigkeit, sondern die Steigerung der Mehrdeutigkeit.
Man wird vorsichtig sein müssen, diese Dynamik vorschnell zu einem Problem der Wissenschaft in ihrer ganzen Breite zu machen. Als Problem greifbar wird die skizzierte Dynamik aber dort, wo die Vielzahl der hyperspezialisierten Perspektivierungen ein und desselben wissenschaftlichen Gegenstandes so überbordend ist, dass eine Überführung dieser Vieldeutigkeit in Eindeutigkeit enorm schwierig, wenn nicht unmöglich ist. So kann man etwa in wissenschaftlichen Datenbanken mehr als 34.000 Studien finden, wenn man die Stichworte Kaffee und/oder Koffein eingibt (Illinger, 2014). Entsprechend wird man über Kaffee und seine Wirkung relativ beliebige Wissensbehauptungen aufstellen können, die zwischen den Polen „sehr gesund“ und „sehr ungesund“ liegen. Im Ergebnis kann die Wissenschaft dem eigenen oder dem gesellschaftlichen Aufklärungsanspruch gar nicht mehr genügen. Sollten wir weniger Kaffee trinken? Ja, Nein, Vielleicht? Kommen Sie in 100 Jahren wieder, ich muss erst 34.000 Studien lesen!
Die zweite Voraussetzung dafür, dass die Wissenschaft ihrem Aufklärungsanspruch gerecht werden kann, besteht darin, dass man ihren Botschaften vertrauen muss. Man wird sagen dürfen, dass die Wissenschaft auf dem allerbesten Weg ist, dieses Vertrauen, das nachwievor sehr weit verbreitet ist, zu gefährden. Und zwar nicht vorrangig deshalb, weil sie ihrer eigenen irregeleiteten PR-Maschinerie nicht mehr Herr wird, sondern weil sie selbst mindestens punktuell ihre Forschungskommunikation am Neuigkeitswert und an der Spektakularität auszurichten beginnt (siehe Beitrag von Martina Franzen hier bei meta).
Welche Früchte das trägt, lässt sich durch die Reaktion von drei Experten für Wissenschaftskommunikation in einem Spiegel Online-Gespräch veranschaulichen:
SPIEGEL ONLINE: Viele Forscher meinen, dass sie sich gar nicht erklären müssten, da die Wissenschaft sich selbst kontrolliere und korrigiere. Als Argument wird ja gern behauptet, Journalisten wollten in erster Linie Geld verdienen, während Wissenschaftler nur der Wahrheit dienten.
Reaktion der drei Experten: (Lautes Gelächter).
Womit wir wieder beim Witz wären. Dieses Gelächter der Diskutanten bei Spiegel Online sollte die Wissenschaft bierernst nehmen.
Literatur
Bornmann, L. & Mutz, R. (2014). [1402.4578] Growth rates of modern science: A bibliometric analysis based on the number of publications and cited references. Retrieved February 11, 2015, from http://arxiv.org/abs/1402.4578.
Fanelli, D. (2012). Negative results are disappearing from most disciplines and countries. Scientometrics, 90(3), 891–904.
Illinger, P. (18. Oktober 2014). Einfache Wahrheiten. Süddeutsche Zeitung, 240, 37.
Markus Lehmkuhl ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Arbeitsbereich Wissenschaftskommunikation der Freien Universität Berlin. Er leitet die Redaktion von meta seit 2007.
Pingbacks
[…] Aufklären! Aber wie? […]
[…] Sein Beobachtungsfeld: Die Darstellungen zu Antibiotikaresistenzen. Hier, so Lehmkuhl, sind Übertreibungen seitens der Forscher inzwischen das Normale. Jedes Mal, wenn es um Forschungsanträge und damit um Geld geht, beschwören sie […]
[…] Aufklären! Aber wie? […]