Die Hochschule Darmstadt muss Prioritäten setzen: Sie löst den eigenständigen Bachelor-Studiengang Wissenschaftsjournalismus auf. VON CHRISTINA MERKEL
Der Deutsche ist Analphabet
wenn es um Wissenschaften geht;
ja, er bekennt ganz frank und frei
sie gingen ihm am Arsch vorbei,
und mancher gibt gar damit an,
dass er sie nicht begreifen kann.
Das ist die erste Strophe des Gedichts, das unser Physikprofessor für unsere Absolventenfeier geschrieben hat. Insgesamt hat es zehn. Im Gegenzug schenkten wir ihm einen selbstgebastelten Kalender. Im Januar war darin ein Eisbär aus aufgeklebten Taschentuchkugeln zu sehen. Neben ihm stand der Rechenweg, wie groß eine Eisscholle sein muss, damit das 750-Kilo-Tier im Polarmeer nicht untergeht. Physikprofessor und Wissenschaftsjournalisten waren sich in drei Jahren Studium ans Herz gewachsen.
Wir waren 2005 der erste Jahrgang, der den Bachelor-Studiengang Wissenschaftsjournalismus an der Hochschule Darmstadt studiert hat. Jetzt hat der letzte begonnen. Ab nächstem Semester werden keine neuen Studenten mehr aufgenommen. Der Fachbereich Journalismus hat beschlossen, den Studiengang auslaufen zu lassen.
„Die Entscheidung ist uns nicht leicht gefallen“, sagt Peter Schumacher. „Ich finde den Studiengang nach wie vor sehr sinnvoll, denn der Bedarf an guten Wissenschaftsjournalisten ist da.“ Schuhmacher, Journalistikprofessor mit den Schwerpunkten Onlinemedien und Crossmedia, hat den Studiengang von 2010 bis 2013 geleitet.
Onlinekommunikation statt Wissenschaftsjournalismus
Dem Fachbereich fehlt Geld und Personal, weil zum nächsten Wintersemester der neue Studiengang Onlinekommunikation in Darmstadt startet. Vom eigenständigen Wissenschaftsjournalismus wird ab Oktober nur noch eine Vertiefungsrichtung übrigbleiben. „Wir haben erheblichen Druck aus der Politik, neue Studienplätze zu schaffen“, sagt Schumacher. Wegen der doppelten Abiturjahrgänge und dem Wegfall des Wehr- und Zivildienstes will das Land Hessen mehr Kapazitäten an Fachhochschulen schaffen. Deshalb hat der Fachbereich seine Journalismus-Studiengänge umsortiert:
- Der PR-Schwerpunkt des bisherigen Bachelorstudiengangs Onlinejournalismus wird zum eigenständigen neuen Studiengang Onlinekommunikation ausgebaut.
- Der Studiengang Wissenschaftsjournalismus wird in seiner bisherigen Form eingestellt und geht als Vertiefungsschwerpunkt im Studiengang Onlinejournalismus auf.
- Der Studiengang Onlinejournalismus bleibt mit 40 Studienplätzen erhalten, bekommt aber durch das Auslagern der PR und die Einbeziehung des Wissenschaftsjournalismus ein neues Profil.
Onlinekommunikation wird offenbar in Zeiten wachsender PR-Abteilungen und schrumpfender Zeitungsredaktionen für massentauglicher gehalten als Journalismus. Im neuen Studiengang werden 60 Studenten einem Professor zuhören. Im Wissenschaftsjournalismus gab es maximal 20 Studierende pro Semester. Ein solches Betreuungsverhältnis ist gut für die Lehre, aber eben schlecht für die Bilanz – große Studiengänge bringen der Hochschule mehr Geld und kosten weniger. „Bei Veranstaltungen mit unter 20 Leuten ist die Schmerzgrenze erreicht“, sagt Schumacher.
Wir saßen im sechsten Semester zu zehnt in den Physikvorlesungen, standen im Chemielabor und lernten Krankheitslehre. Die Professorin für Textwerkstatt zerpflückte jeden unserer Texte einzeln. Kleinere Gruppen bedeuteten besseren Unterricht. Als erster Jahrgang waren wir zwar die Versuchskaninchen. Das bedeutete aber auch, dass wir in den Fachbereichssitzungen mitreden durften, wie sich der Studiengang weiterentwickeln sollte. Er war klein und durch die vielen beteiligten Fachbereiche mit hohem Organisationaufwand verbunden. Natürlich gab es da Anfangsschwierigkeiten, denn im Wissenschaftsjournalismus treffen Welten aufeinander: Chemiker sollen mit Kommunikationstheoretikern diskutieren. Laboringenieure lieben Sätze mit Passiv-Konstruktionen, Lokaljournalismus-Dozentinnen hassen sie. Kurz: Die Konflikte bereiteten uns perfekt auf genau das vor, was uns später in unserem Job erwartete.
Wettbewerbsgewinn ermöglichte Start des Studiengangs
„Strukturell sind diese Welten wohl eher nicht fürs Zusammenarbeiten gemacht, das artet zwangsläufig in Mehrarbeit aus“, sagt Journalistikprofessor Klaus Meier. Er hat den Studiengang Wissenschaftsjournalismus im Jahr 2005 in Darmstadt an den Start gebracht und lehrt inzwischen in Eichstätt.
Einer der Höhepunkte unserer Studentenzeit war sicherlich die Vorlesung, in der ein Biologie- und ein Philosophieprofessor zusammen in einem Hörsaal Bioethik lehrten. Die beiden lernten dabei mindestens genauso viel voneinander wie wir von ihnen. „Für die Ausbildung ist das optimal, aber eine Hochschule tut sich keinen Gefallen damit, einen solchen Studiengang einzurichten“, sagt Meier. Ihm schenkten wir zum Abschied ein Tomahawk und eine Friedenspfeife, die er einsetzen sollte, je nachdem wie die Zusammenarbeit mit den Naturwissenschaftskollegen gerade funktionierte.
Ohne Geldsegen wäre schon der Start des Studiengangs nicht möglich gewesen. Das Konzept gewann einen Wettbewerb des Qualifizierungsprogramms Wissenschaftsjournalismus. Von der Bertelsmann Stiftung, BASF AG und VolkswagenStiftung gab es dafür 122.200 Euro mit der Begründung: „Bislang ist das Ausbildungsangebot für Wissenschaftsjournalisten in Deutschland äußerst gering. Mit dem gemeinsamen Qualifizierungsprogramm wollen wir die Qualität der Berichterstattung über Wissenschaft in Deutschland nachhaltig fördern.“ Vor allem der Wettbewerb sei damals eine faszinierende Herausforderung gewesen, sagt Klaus Meier. „Aber ich habe Verständnis dafür, dass man Studienstrukturen permanent überprüfen muss und dann neue Schwerpunkte setzt, wenn sich der Bedarf und die Rahmenbedingungen ändern.“
TU Dortmund deutschlandweit einzige mit Wissenschaftsjournalismus-Studiengang
Wenn Darmstadt wegfällt, gibt es in Deutschland nur noch einen Studiengang Wissenschaftsjournalismus an der TU Dortmund. Nürnberg, Bremen, Ansbach und Bonn-Rhein-Sieg bieten Technik- oder Fachjournalismus-Studiengänge an. Doch die bilden vor allem für Fachmagazine aus, nicht, um die breite Öffentlichkeit über den Klimawandel, genveränderte Lebensmittel oder embryonale Stammzellen zu informieren. „Ich habe nicht den Eindruck, dass wir für die Arbeitslosigkeit ausgebildet haben“, sagt auch Schumacher. „Viele Leute waren sehr zufrieden mit unserem Studiengang und haben anschließend einen guten Einstieg in den Arbeitsmarkt geschafft.“ Allerdings hatten manche Jahrgänge nur sechs Absolventen.
Nicht jedem gelingt es, in Biologie, Chemie und Physik durchzuhalten. Wer in der Schule schon in allen drei Fächern glänzt, studiert eben nicht unbedingt Journalismus. Unser Jahrgang begann 2005 mit 18 Kommilitonen, bei unserem Abschluss 2008 waren wir noch zu neunt, der Rest war unterwegs an den Naturwissenschaften gescheitert.
Künftig können die Studenten bis zum zweiten Semester überlegen, ob sie sich das zutrauen. Im neuen Onlinejournalismus-Studiengang können sie den Schwerpunkt „Wissenschaft und Daten“ belegen. Als Fächer stehen ihnen dann unter anderem „Statistik und Datenanalyse“ oder „Umwelt und Gesundheit“ zur Auswahl. Sie werden Vorlesungen zur Gestaltung von Infografiken und Wissenschaftstheorie hören.
Vom einstigen Studiengang bleibt eine Vertiefungsrichtung
„Unsere Aufgabe wird es sein, den Studenten zu zeigen, wie attraktiv dieser Schwerpunkt sein kann und wie sinnvoll es ist, sich in ein Thema strategisch zu vertiefen, um nach dem Studium ein eigenes Profil zu haben“, sagt Schumacher. Bislang haben sich jedes Jahr mehr als 100 Interessenten für das Wissenschaftsjournalismus-Studium in Darmstadt beworben, trotzdem blieben seit einiger Zeit einige der 20 Plätze frei. „Ich kann nur spekulieren, woran das lag“, sagt Schumacher. „Vielleicht haben sich viele überall beworben, wo Journalismus drauf stand und sind dann doch woanders hingegangen.“
Wie groß das Interesse an der neuen Vertiefung sein wird, bleibt abzuwarten. „Das ist ein Experiment“, sagt Schumacher. „Zwingen kann man keinen. Wenn die Nachfrage nicht da ist, wird der Schwerpunkt eben weniger angeboten.“ Wer merkt, dass ihm die Naturwissenschaften nicht liegen, der kann künftig als Alternative „Internationaler Journalismus und Europa“ belegen, um sich auf eine Tätigkeit als Korrespondent vorzubereiten. Die dritte Möglichkeit ist, sich aus beiden Fächerkatalogen das herauszupicken, was einen interessiert. „Die Grundidee dahinter ist, dass wir den Studierenden gerade in den höheren Semestern viel Eigenverantwortung für die Auswahl ihrer Studieninhalte übertragen wollen“, erklärt Schumacher.
Eine zunehmende Verschiebung von Journalismus- zu PR-Studiengängen sieht er nicht. „Natürlich ist der neue Studiengang Onlinekommunikation ins Leben gerufen worden, weil die PR-Branche boomt“, sagt er. „Aber selbst die Nachfrage nach Journalismusstudiengängen ist ungebrochen hoch – da kann man sich auch fragen, wie sinnvoll das noch ist.“
Der aktuell letzte Jahrgang wird 2016 seinen Abschluss machen, bis 2017 ist der Studiengang akkreditiert. „Natürlich waren die Studenten erst einmal irritiert als sie gehört haben, dass ihr Studiengang ausläuft“; sagt Schumacher. „Aber Entsetzen oder komplettes Unverständnis gab es nicht.“ Am größten war die Enttäuschung bei zwei Professoren der Naturwissenschaften. „Für sie tut es mir wirklich leid, dass die viele Aufbauarbeit nicht so weiter geführt werden kann und sie die Früchte nicht noch länger ernten können“, sagt Schumacher. „Aber durch die politischen Rahmenbedingungen lassen sich so kleine exotische Studiengänge einfach nicht mehr vertreten.“
Das Abschiedsgedicht des Physikprofessors endet so:
Letztlich erzeugt ihr als Ergebnis
beim Leser ein Erfolgserlebnis,
der wirklich glaubt, er hätt‘s kapiert,
und deshalb weiter abonniert.
Christina Merkel hat den Bachelor Wissenschaftsjournalismus in Darmstadt und den Master in Dortmund studiert. Sie arbeitet als Redakteurin bei der Nürnberger Zeitung.
Kommentare
Thomas Pleil schreibt:
25. November 2014 um 10:42 Uhr
Ich verstehe die Wehmut sehr gut und als Beteiligter in der Konzeptions- und Aufbauphase von WJ geht es mir selbst so. Andererseits sind wir gehalten, die Ausbildungskonzepte laufend zu hinterfragen und weiterzuentwickeln. Das bezieht sich auf Ausbildungsinhalte, auf die Studienorganisation und einige andere Aspekte. Glücklicherweise war es eben nicht der Rotstift, der die aktuellen Veränderungen provozierte. Im Gegenteil: Wir haben vom Land Hessen die Verpflichtung, mehr Studienplätze zu schaffen. Aber ganz ehrlich: Wir konnten uns nicht vorstellen, in die bestehenden Journalismusstudiengänge einfach doppelt so viele Studenten aufzunehmen. Das war der Ausgangspunkt für den eigenen Studiengang Onlinekommunikation.
Ein paar Details möchte ich ergänzen:
– der neue Studiengang Onlinekommunikation finanziert sich eigenständig, er nimmt der Journalismusausbildung keine Ressourcen weg (sieht man davon ab, dass ich als PR-Prof den Studiengang wechsle).
– unter dem Strich werden in Darmstadt pro Jahr weiterhin mindestens 40 Journalisten ausgebildet, künftig in einem statt in zwei Studiengängen
– würden zwei Studiengänge mit je 20 Studienplätze bestehen, muss das nicht automatisch mehr Qualität bedeuten, sondern würde für die Administration (z.B. auch Akkreditierungsaufwand) deutlich mehr Energie kosten. Zudem lassen sich in einem größeren Studiengang mehr Wahlangebote finanzieren.
– im Studiengang Onlinekommunikation gibt es zwar im ersten Jahr einzelne Vorlesungen für den ganzen Jahrgang, die Verallgemeinerung in Bezug auf das Betreuungsverhältnis ist aber nicht richtig: Für Projekte, Textwerkstätten etc. sind wie bisher 20er Gruppen kalkuliert. Dass in WJ die Gruppen oft kleiner waren, lag ehrlich gesagt an einer Unterbelegung.
– im Studiengang OK gibt es neben PR die Schwerpunkte Marketing und Corporate Learning, es werden also nicht nur PR-Leute ausgebildet
Wie gut sich das Ganze bewährt, müssen wir sehen. Im Journalismus sehe ich weiterhin ein sehr attraktives und zukunftträchtiges Angebot: Nirgendwo sonst können sich Studierende in den Bereichen Online, Wissenschaft, Datenjournalismus und (internationale) Politik ein Profil erarbeiten.