Wie positioniert sich Wissenschaftsjournalismus im Spannungsfeld zwischen externer Finanzierung und Glaubwürdigkeit? Eine Einführung in das Dossier „Sponsoring des Journalismus“ VON MARKUS LEHMKUHL
„Versuchsstation des Weltuntergangs.“ So nannte Karl Kraus in einem Beitrag für Die Fackel 1915 Österreich. Der Wiener Journalistik-Professor Hannes Haas zitierte 2010 dieses Wort von Kraus zu Beginn eines Buchkapitels über die Krise des Journalismus*. Warum er das tat, ist unklar. Denn die Rede von der „Versuchsstation des Weltuntergangs“, schreibt Haas, sei möglicherweise passend für manches in Österreich, für den Medienbereich allerdings nicht, weil der sich nur verzögert entwickele. Die Österreicher machten die Fehler der anderen erst mit sicherem Abstand.
Hannes Haas hat so wenig wie Karl Kraus bei seinen Ausführungen an die so genannten „Medienkooperationen“ gedacht, die eine Reihe von Qualitätsmedien in Österreich zur Finanzierung des spezialisierten Wissenschaftsjournalismus unterhalten, darunter Der Standard und Die Presse. Unter anderen diese beiden lassen sich ihren Wissenschaftsjournalismus finanzieren durch diverse Hochschulen und Forschungsorganisationen, und zwar zu erklecklichen Anteilen. Und damit nicht genug: Sie lassen sich ihren Journalismus darüber hinaus finanzieren durch Bundesministerien, zuvörderst zu nennen das Ministerium für Wissenschaft und Forschung.
Man muss sicher nicht gleich vom Weltuntergang reden, aber zu einer Versuchsstation wird Österreich durch diese Praxis gleichwohl. Die Versuchsanordnung: Man lotet aus, wie viel Unabhängigkeit und Glaubwürdigkeit, wie viel Staatsferne man einbüßen kann, bevor der Journalismus untergeht.
Es gibt jedoch keinen Grund, mit dem Finger auf Österreich zu zeigen. Erstens deshalb, weil wir auf der Suche nach alternativen Finanzierungsmodellen nicht allein in Österreich fündig geworden sind, sondern auch in der Schweiz, in Tschechien, in Spanien, Griechenland, Irland und Estland. Und zweitens deshalb, weil diese Medienkooperationen durchaus vergleichbar sind mit dem Geschäftsmodell einer Vielzahl freier Journalisten, die ihre Rechnungen nur begleichen können, weil sie zu erklecklichen Anteilen auch Wissenschafts-PR machen. Diese Kooperationen von Hundertschaften freier Autoren bleiben aber anders als in Österreich praktisch vollständig verdeckt. Nur deshalb bergen sie geringere Risiken für die Glaubwürdigkeit ganzer Medientitel, die auf die Dienste von Freien angewiesen sind, diese aber in aller Regel schlecht bis sehr schlecht bezahlen. Eine Gefahr für den Journalismus sind diese Zustände gleichwohl.
Das schafft Diskussionsbedarf, den wir mit den Beiträgen dieses Dossiers bedienen wollen:
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Code of Conducts: Wo beginnt die Befangenheit von Wissenschaftsjournalisten?
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Der Autor Markus Lehmkuhl ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Arbeitsbereich Wissenschaftskommunikation der Freien Universität Berlin. Er leitet die Redaktion von meta seit 2007.