Wissenschaftsjournalismus, der von Dritten unterstützt wird, verliert nicht automatisch die Fähigkeit zur Kritik. Eine Replik VON BEAT GLOGGER

(Photo credit: CC BY NC SA 2.0: truthout.org/flickr.com)

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In der Kritik stehen wir, seit wir die Wissen-Seiten für 20 Minuten produzieren, also seit vier Jahren. Man gewöhnt sich daran, aber man wundert sich auch. Vorgeworfen wird uns, in einem finanziellen Abhängigkeitsverhältnis könne man keinen unabhängigen Wissenschaftsjournalismus betreiben. Die Gewöhnung an diesen Vorwurf tritt natürlich durch dessen fortwährende Wiederholung ein. Interessanter ist die Verwunderung: Sie rührt daher, dass unsere Kritiker immer nur prinzipielle Bedenken vorzubringen haben – obschon ich sie eins übers andere Mal auffordere, konkrete Fälle zu nennen, wo meine Redaktion befangen gewesen sei, wo wir zu wenig kritisch berichtet haben, zu wissenschaftsnah. Gefunden wurde ein solches Beispiel bis jetzt nicht.

Natürlich kann es nicht das journalistische Ziel sein, in einem Gratisblatt, das frühmorgens in überfüllten S-Bahnen gelesen wird, die prinzipielle Systemkritik an der Wissenschaft zu üben. Wir verstehen unsere Aufgabe primär im Erklären. Denn, wenn das Publikum nicht weiss, was Nanotechnologie ist, kann ich es schwer mit Kritik an derselben zum Lesen animieren.

„Wir liefern Qualität“

Aber wenn wir kritisch sein wollen, dann sind wir es. Dies belegte ich kürzlich auf der „ScienceComm13“, der jährlichen in der Schweiz stattfindenden Konferenz der Wissenschaftskommunikatoren und -journalisten. Präsentiert habe ich eine Analyse der Berichterstattung von Sonntagszeitung, NZZ, Tagesanzeiger und 20 Minuten zur Premiere eines humanoiden Roboters der Universität Zürich. Die meisten kritischen Fragen, die meisten Quellen, die höchste Quellentransparenz und die meisten Beispiele lieferten die Sonntagszeitung und wir in 20 Minuten. Gefolgt vom Tagesanzeiger. Die NZZ begnügte sich mit einer Ein-Quellen-Geschichte ohne jeden kritischen Ansatz. Während das Zürcher Traditionsblatt von Weltruf sich also gerne zur Wächterin über den Qualitätsjournalismus aufschwingt, kann ich zumindest für unseren Wissensteil mit Fug und Recht behaupten: Wir liefern Qualität.

Alle Beiträge des Dossiers "Sponsoring des Journalismus"

Alle Beiträge des Dossiers „Sponsoring des Journalismus“

Trotzdem reißt die Kritik nicht ab. „Man beisst doch nicht die Hand, die einen füttert“, hielt mir eine Kollegin vom Radio einmal vor. Dem stimme ich zu – im Prinzip. Doch meine Maxime lautet anders: „Man lässt sich nicht von einer Hand füttern, in die man gerne beissen möchte.“ Will heißen: Nicht von jeder Quelle nehme ich Geld für Journalismus.  Ein Ministerium, eine Hochschule, eine Firma? Ausgeschlossen.

Und nun bestätigt die Risikoabschätzung von Markus Lehmkuhl mich erst recht in meiner Haltung. Stiftungsfinanzierter Wissenschaftsjournalismus ist von allen Modellen der Fremdfinanzierung das am wenigsten problematische. Das werden meine kritischen Kollegen zähneknirschend zur Kenntnis nehmen (müssen). Ohnehin schulden sie mir noch die Antwort auf eine Frage, die ich ihnen ebenfalls an der ScienceComm13 gestellt habe: Wenn Wissen in 20 Minuten tatsächlich zu wenig kritisch ist, WEIL die Seiten fremdfinanziert sind und/oder WEIL die verantwortliche Agentur auch Kommunikationsaufgaben übernimmt, warum ist dann der Wissenschaftsjournalismus der so genannten unabhängigen Redaktionen nicht kritischer?

Was ich vor Lehmkuhls Artikel nicht gewusst habe: dass Österreich ein Medientransparenzgesetz hat, das die mit öffentlichem Geld finanzierten Organisationen zwingt, den Betrag zu nennen, den sie für Medienkooperationen aufbringen. Was wohl so ein Gesetz in der Schweiz auslösen würde? Man erführe vielleicht, warum der Tagesanzeiger, der sich unabhängig nennt, das Patronat für eine Wissenschaftsausstellung übernimmt, dazu eine mehrseitige Berichterstattung liefert und verhindert, dass die veranstaltende Uni anderen Medien Hintergrundinformationen zu der Ausstellung liefert. Oder interessieren diese „kleinen Abhängigkeiten“ die Branche etwa nicht?

Wissenschaft als Pflichtstoff statt „Special Interest“

Und warum schreit niemand, wenn ein Redakteur einer ebenfalls unabhängigen Zeitung in der Jury des Schweizer Buchpreises sitzt, gleichzeitig das Porträt über den Gewinner schreibt, die Präsentation des Buches moderiert – und seine Zeitung die Veranstaltung als Medienpartner unterstützt und bewirbt? Na gut, das ist Kulturjournalismus. Aber muss der nicht auch unabhängig sein?

Wo ich mit Lehmkuhl nicht ganz einverstanden bin, ist sein Fazit, dass Verleger zwei Risiken gegeneinander abwägen müssen. Das Risiko, kein Angebot im Wissenschaftsbereich zu machen, mit dem Risiko, Geld von Externen anzunehmen. Es gibt noch eine dritte Möglichkeit: Die Verlage finanzieren eine Wissensseite selbst, weil die Leserschaft sie will. Denn Wissen steht bei Publikumsbefragungen immer ganz oben auf der Prioritätenliste. In der Sonntagszeitung hat das Buch Wissen am zweitmeisten Lesende. Bei der NZZ am Sonntag steht Wissen auf Rang drei. Trotzdem publiziert zum Beispiel das Blatt meiner Heimatstadt lieber drei Seiten Kultur – unter anderem mit Berichten zu Opernpremieren in Bayreuth – als einmal wöchentlich Wissenschaft.

Doch vielleicht ist das ganz einfach die Schuld der Wissenschaftsjournalisten selbst, wie Irène Dietschi, die ehemalige Präsidentin des Schweizer Klubs für Wissenschaftsjournalismus in dessen letztem Bulletin zur Diskussion stellte. Was machen wir Journalisten falsch, dass Verleger und Chefredaktoren Wissenschaft nur als Special Interest und nicht als Pflichtstoff sehen?

 


Beat Glogger ist Inhaber der Agentur scitec-media, welche mit Unterstützung von zwei Stiftungen die wöchentliche Doppelseite Wissen in der grössten Schweizer (gratis) Tageszeitung „20 Minuten“ produziert.