Murks aus der Feder von Kollegen oder von Wissenschaftlern ist nicht selten. Soll man das korrigieren oder ignorieren? VON ALEXANDER MÄDER
Das sei ein schwarzer Tag für den Wissenschaftsjournalismus gewesen, schrieb der Statistiker Gerd Antes in einer Rundmail. Der Fall liegt schon anderthalb Jahre zurück, doch er eignet sich so gut wie andere, um zu fragen, ob der Journalismus nicht manchmal still halten sollte. Ende März 2012 gab die University of California in San Diego eine Pressemitteilung mit der Überschrift „Regular Chocolate Eaters are Thinner“ heraus, die in Deutschland hohe Wellen schlug. Nicht alle, aber doch viele Medien brachten die Nachricht mit einer Überschrift der Art „Schokolade macht schlank“ heraus. Das Netzwerk für Evidenzbasierte Medizin kritisierte das später in einer eigenen Pressemitteilung: Journalisten hätten die Bürgerinnen und Bürger – unabsichtlich oder bewusst – in die Irre geführt.
Die Studie ist im Journal „JAMA Internal Medicine“ (Band 172, Seiten 519-521) erschienen und geht auf eine ordentliche Befragung zurück. Die Medizinerin Beatrice Golomb untersucht eigentlich die Wirkung von Statinen, doch sie hatte in ihren Fragebögen zu den Lebensgewohnheiten der rund 1000 Teilnehmer auch nach dem wöchentlichen Schokoladenkonsum gefragt. So war es möglich, den statistischen Zusammenhang mit dem Body Mass Index zu berechnen. Er ist leicht negativ, das heißt: Wenn der Body Mass Index steigt, dann sinkt tendenziell der Schokoladenkonsum. Der Einwand der Statistiker und Mediziner ist aus Büchern und Journalisten-Fortbildungen bekannt: Eine Korrelation reicht nicht aus, um einen kausalen Zusammenhang zu begründen – also in diesem Fall die Aussage, dass die Schokolade den Body Mass Index beeinflusst. Es könnte schließlich genauso gut umgekehrt sein: Wer dünn ist, isst häufiger Schokolade, gerade weil sie oder er glaubt, es sich leisten zu können. Der statistische Zusammenhang ist mit beiden Erklärungsansätzen vereinbar und belegt daher keinen von ihnen. Die kausale These, dass Schokolade schlank mache, ist spekulativ.
Journalisten haben die frisch veröffentlichte Studie nicht nach ihrer wissenschaftlichen Qualität für die Berichterstattung ausgewählt, sondern weil sie eine Frage betrifft, die viele umtreibt: Wie viel Schokolade ist gut für mich? Eine solche Auswahl ist grundsätzlich berechtigt, weil sich Journalismus nicht an dem orientieren sollte, was wissenschaftlich relevant ist, sondern an dem, was aus der Wissenschaft für sein Publikum relevant ist. Doch in diesem Fall hätte man zum Ergebnis kommen müssen, dass die Studie die Frage, wie viel Schokolade gut für einen ist, nicht beantwortet.
Studien: Fehlinterpretation hochwillkommen?
Nun kann man einwenden, dass Beatrice Golomb und ihre Hochschule wenig unternommen haben, um Journalisten darauf hinzuweisen, dass die kausale These spekulativ ist. Im Gegenteil: In einem Youtube-Video, das die Pressemitteilung ergänzt, sitzt Beatrice Golomb in einem Pralinengeschäft und erläutert dort die angeblich positiven Wirkungen der Schokolade auf den Stoffwechsel. Man darf wohl unterstellen, dass es ihr ganz recht war, wie die Studie von deutschen Journalisten aufgenommen worden ist. Ein Teil des Problems liegt also im Wissenschaftsbetrieb.
Doch das hilft dem Journalismus nicht weiter, denn er muss aufpassen, dass er nicht in die Irre geleitet wird. Im Normalfall sollte es so laufen: Der kritische Journalist erkennt die Einschränkungen der Studie und legt sie zur Seite. Sie oder er überlegt vielleicht noch, ob sich ein Beitrag zum Hype der Pressearbeit lohnen würde. Aber dazu müsste es eine Universität in der Nähe sein oder eine bekannte Autorin. Und dann schlägt die Studie doch so hohe Wellen, dass das Thema wieder aufkommt: Sollte sie oder er die Studie doch noch aufgreifen, um sie richtig einzuordnen – und dabei die Berichte der Kollegen zu relativieren oder zu korrigieren? Dann wären die Medienberichte der Anlass und nicht mehr die Studie. Ist das in Ordnung?
Widerwille regt sich, denn dafür bin ich jedenfalls nicht Journalist geworden. Was gibt man als Berufsstand für ein Bild ab, wenn man sich mit den Berichten der Kollegen befasst statt mit dem echten Leben? Man vergeudet Ressourcen für letztlich uninteressante Ergebnisse und bestätigt womöglich den Verdacht des Publikums, dass viele Journalisten unkritisch sind. Es mag zwar schwer zu ertragen sein, den kausalen Schluss „Schokolade macht schlank“ unkommentiert stehen zu lassen – und er war so oft zu hören und zu lesen, dass man befürchten musste, dass er hängen bleibt. Doch es wird schon niemand so dumm gewesen sein, nach Lektüre einer entsprechenden Meldung eine Schokoladendiät zu beginnen. Die Meldung hatte einen Schön-wär’s!-Klang und dürfte das Publikum kaum über den Augenblick hinaus beschäftigt haben. Und selbst wenn: Wer sich tatsächlich ernsthaft gefragt hat, ob Schokolade schlank macht, würde richtige Einordnungen im Internet rasch finden.
Die Tücken der Themenwahl
Manche Journalisten werden sich hingegen über die Gelegenheit gefreut haben, die Aussagekraft von Korrelationsstudien zu erläutern, denn einen guten Anlass dazu hat man nicht oft. Das Netzwerk für Evidenzbasierte Medizin kritisiert zwar, dass immer wieder Korrelationsstudien für kausale Schlüsse missbraucht würden, doch nur selten werden sie so stark verbreitet wie im Fall der Schokoladenstudie. Die Themenauswahl der tagesaktuellen Medien unterscheidet sich in der Regel so deutlich, dass Studien eher selten übereinstimmend von mehreren Medien ausgewählt werden. Doch das mindert den Widerwillen nicht wirklich. Man steht vor einem Dilemma. Mein Publikum hat aus anderen Quellen von der Studie gehört, steht ihr möglicherweise skeptisch gegenüber und erwartet nun von mir eine Einordnung. Sich dem zu verweigern, wirkt so, als hätte man zu diesem Thema nichts zu sagen. Deshalb fügt man sich womöglich zähneknirschend. In anderen Ressorts mag das gang und gäbe sein. Aber das macht es für den Wissenschaftsjournalismus nicht erstrebenswert. Denn Übereinstimmung in der Themenwahl ist nicht viel wert, wenn es keine gute Wahl ist.
Die Alternative wäre mehr Mut zum Profil: Wofür steht mein Medium? Will ich wissenschaftliche Erkenntnisse als Service aufbereiten, will ich beeindruckende Geschichten erzählen oder will ich aufklären und vor falschen Schlüssen warnen? Nicht jedes Medium muss alle Aufgaben erfüllen, und deshalb muss sich auch nicht jeder Journalist unter Druck fühlen, die Schokoladenstudie einzuordnen. Für den einen sind forschungspolitische Entscheidungen wichtig, weil es um Geld geht, für andere stehen Expertisen zu politischen Fragen im Vordergrund. Wieder andere setzen auf gehobene Unterhaltung und zeigen die überraschenden Phänomene der Tierwelt oder der Quantenwelt auf. Und im großen Feld der Medizin gibt es diejenigen, die den besten ärztlichen Rat zusammentragen, und diejenigen, die sich mehr für die Grundlagenforschung und neue Medikamente interessieren, und diejenigen, die Fehlentwicklungen im Gesundheitssystem herausarbeiten. Die Relativierung der Schokoladenstudie ist nur für Medien interessant, in denen regelmäßig Ernährungstipps gegeben werden oder wissenschaftstheoretische Reflexion betrieben wird, denn nur bei ihnen dürfte das Publikum eine Einordnung erwarten.
Orientierung durch das Science Media Center?
Aber in der Regel erwarten Chefredakteure von ihren Wissenschaftsressorts das volle Programm. Und wenn eine Meldung wie die über die Schokoladenstudie überall auftaucht, dann gilt das als Beleg dafür, dass sie wichtig ist. Dann folgt die Frage: Warum haben wir nichts dazu gemacht? Doch diese Frage sollten Wissenschaftsjournalisten lernen, selbstbewusst zu beantworten. Hier könnte sich zeigen, wie ernst es ein Medium mit dem oft geäußerten Wunsch nach eigenen Geschichten meint: Traut es sich, gegen den journalistischen Mainstream zu entscheiden und auf ein anderes Thema als die Schokoladenstudie zu setzen?
Das Science Media Center Deutschland (SMC), das die WPK mit Partnern aus Wirtschaft und Wissenschaft plant, könnte dabei helfen. Denn diese Einrichtung soll Journalisten auch vor irreführender Berichterstattung schützen. Bei der Schokoladenstudie könnte das Center zum Beispiel Experten bitten, die Aussagekraft der Studie einzuschätzen, und den Journalisten damit nahelegen, die Studie lieber zu ignorieren. Doch auch das SMC wird sich entscheiden müssen, wie es seine Kapazitäten einteilt. Wäre seine Hilfe nicht wichtiger bei Studien, die schwieriger einzuschätzen sind als die Korrelation zwischen Body Mass Index und Schokoladenkonsum? Bisher ist das SMC nur darauf festgelegt worden, seine Themen nach journalistischen Gesichtspunkten auszuwählen. Es hat daher noch den Spielraum, die Ziele genauer zu bestimmen.
Der Autor Alexander Mäder ist Wissenschaftsredakteur bei der Stuttgarter Zeitung.
Kommentare
Ideen und Wissen (@IdeenUndWissen) schreibt:
11. Dezember 2014 um 02:53 Uhr
Eine andere Studie fand aber 2013 heraus, dass die Schokolade (vielmehr der enthaltene Kakao) unter Umständen eben doch „schlanker“ macht (Cuenca-Garcia M et al. 2013. Association between chocolate consumption and fatness in European adolescents. Nutrition 30(2): 236-9; doi: 10.1016/j.nut.2013.07.011). Eine Zusammenfassung der Ergebnisse können Sie beispielsweise hier lesen: http://ideen-und-wissen.blogspot.de/2014/03/die-schokoladen-diat-jetzt-wird.html
Hätte Ihnen diese Arbeit bei einer gründlichen Nachrecherche zum Thema nicht auch auffallen müssen?
Redaktion schreibt:
12. Dezember 2014 um 12:36 Uhr
Hallo „Ideen und Wissen“, ich habe die Arbeit quer gelesen, und darin geht es ja auch nur um eine Assoziation (schon lt. Titel). Die Überlegungen zur Kausalität sind reine Spekulation. Aber davon abgesehen geht es bei diesem Artikel auch weniger um die Schokolade sondern mehr um das generelle Phänomen, das „meta-Thema“, nämlich die Frage, wie (Wissenschafts-)Themen ausgewählt werden und welche Rolle dabei Relevanz bzw. Unterhaltung spielen. Können Sie mit diesen Überlegungen etwas anfangen?
Viele Grüße, meta-Redaktion, cr