Wie verändert das Web 2.0 die Wissenschaftskommunikation? Was bedeutet die direkte Nähe von Forschern, Instituten und Laien für die Kommunikation von Forschung? Eine Analyse der Nutzung von Wissenschaftsblogs VON MANON LITTEK
Social Media hat sich in der Wissenschaftskommunikation etabliert. Soziale Netzwerke für Wissenschaftler wie „researchgate“ verzeichnen dreistellige Wachstumsraten und vernetzen weltweit bereits 1,4 Millionen Forscher. Die Anzahl twitternder Wissenschaftsjournalisten und Wissenschaftler wächst stetig und die ca. 400 -500 Wissenschaftsblogs in Deutschland sind nicht mehr nur als Einzelblogs zu finden. Sie gehören zum Inventar von Forschungsinstitutionen wie das „IAO-Blog“ vom Fraunhofer Institut. Sie gehören zu Redaktionen wie „Planckton“ der FAZ. Sie begleiten Forschungsprojekte und sind in Aggregationsplattformen, wie „Scilogs“, „ScienceBlogs“ oder „freethoughtblogs“ gebündelt.
Trotz der etablierten Nutzung von Social Media Anwendungen besteht immer noch Unklarheit darüber, welche Rolle diese Formate in der Wissenschaftskommunikation einnehmen können und zu welchem Zweck sie von Wissenschaftlern, Wissenschaftsjournalisten und Laien genutzt werden. Wie sind bloggende und twitternde Wissenschaftler in die klassischen geschlossenen und stark formalisierten Kommunikationsstrukturen des Wissenschaftsbetriebes einzuordnen? Welchen Einfluss haben die sich neu bildenden Formen von Wissenschaftskommunikation, die sich durch Vernetzungs- und Interaktionsmöglichkeiten auszeichnen, auf den beruflichen Alltag von Forschern und Wissenschaftsjournalisten?
Im Folgenden werden einige Kernergebnisse meiner Forschungsarbeit (Kasten: Zur Methode) vorgestellt. Der Fokus liegt auf den empirischen Ergebnissen: Motive der Nutzung von Wissenschaftsblogs sowie daraus abgeleiteten Funktionen von Wissenschaftsblogs aus der Perspektive von Wissenschaftlern, Wissenschaftsjournalisten und Laien. Ergebnisse zeigen auf, dass fünf übergeordnete Motivkategorien die Mediennutzung von Wissenschaftsblogs repräsentieren: „Information“, „Unterhaltung“, „Identität“, „Aktivität“ und „Beruf“. Die jeweiligen Kategorien fassen ausdifferenzierte Motive zusammen, die in der Kategorie „Information“ auch wertende Attribute beinhalten (z.B. „Qualität der Informationen“, „Tiefe und Dichte der Information“). Zwischen den drei Nutzergruppen – Wissenschaftler, Wissenschaftsjournalisten und Laien – ist eine große Übereinstimmung auf der Ebene der Motivkategorien jenseits der Kategorie „Beruf“ zu erkennen. Die Wichtigkeit und Stärke der jeweiligen Motivkategorie, die die Mediennutzung auslöst, unterscheidet sich jedoch stark zwischen den drei Gruppen und auch die Ausdifferenzierung und Ausprägung der Motive die den jeweiligen Kategorien zugeordnet werden.
Vor dem Hintergrund klassischer Kommunikationsstrukturen, die der Wissenschaftskommunikation zugeordnet werden, können erste Funktionen von Wissenschaftsblogs in der Wissenschaftskommunikation aus den Daten abgeleitet werden.
Nutzung von Wissenschaftsblogs von Wissenschaftlern
Für Wissenschaftler ist die Nutzung von Wissenschaftsblogs zwischen einer informellen (z.B. Laborgespräche mit Kollegen) und formalen Binnenkommunikation (in Form von peer-geprüften Fachpublikationen) anzusiedeln. Die Mediennutzung von Wissenschaftsblogs findet sowohl im beruflichen, als auch privaten Kontext statt (70% Nutzung im privaten Kontext; 53% Nutzung im beruflichen Kontext).
Wissenschaftsblogs stehen in ihrer Nutzung nicht mit Medienformaten der formalen Binnenkommunikation in Konkurrenz, obwohl Wissenschaftler die Qualität der Informationen in Wissenschaftsblogs höher einschätzen, als in redaktionell-professionellen Seiten. Wissenschaftler schätzen den Einfluss auf die eigene Forschung als sehr gering ein und sie stellen keine wissenschaftlich zitierfähigen Quellen dar.
Die Kommunikation über Wissenschaftsblogs weist dagegen einen ähnlichen Charakter wie die informelle Binnenkommunikation auf, jedoch mit mehr Facetten. In Wissenschaftsblogs ist ein institutsübergreifender, internationaler und disziplinunabhängiger informeller Austausch zwischen Wissenschaftlern möglich. Drei Funktionen von Wissenschaftsblogs für Wissenschaftler sind im Kontext einer informellen Binnenkommunikation besonders hervor zu heben.Zum einen werden Wissenschaftsblogs von Wissenschaftlern genutzt um Fachkommentare angrenzender Disziplinen einzuholen und sich „ungefiltert“ mit anderen Forschern auszutauschen, nicht nur fachlich, sondern auch zum Alltag eines Forschers und praktischen Problemen im Labor. Die spezifischen Informationen in Wissenschaftsblogs sind teilweise noch spezifischer als in Fachjournalen und stellen z.B. detaillierte Forschungsberichte angrenzender Disziplinen, Fachkommentare von wissenschaftlichen Kollegen, ungefilterte Einblicke in den Forschungsprozess anderer Wissenschaftler und Projektdetails eines Forschungsvorhabens dar. In Bezug auf Informationen angrenzende Disziplinen ersparen Wissenschaftsblogs für einige Wissenschaftler das „Paper“ lesen, welches in der eigenen Disziplin unabkömmlich ist.
Eine weitere konkrete Nutzung von Wissenschaftsblogs für Wissenschaftler, die einen direkten Einfluss auf die Forschungsarbeit hat, ist der wissenschaftliche Informationsaustausch in Bezug auf die Anwendung von wissenschaftlichen Methoden. Wissenschaftsblogs können im kommunikativen Austausch von Methoden aufgrund der Interaktionsmöglichkeiten und der informellen subjektiven Darstellung im Sinne eines „Erfahrungsberichtes“ durch den Praxisbezug einen wichtigen Mehrwert leisten und werden vor diesem Hintergrund auch genutzt.
Wissenschaftler nutzen weiterhin Wissenschaftsblogs, im Gegensatz zu Wissenschaftsjournalisten und Laien, sehr stark aus Vernetzungsmotiven. Stärker als soziale Netzwerke bieten Wissenschaftsblogs die Möglichkeit der Selbstvermarktung der eigenen Forschung in Kombination mit Beziehungspflege und einem kontinuierlichen Austausch mit anderen Forschern.
Nutzung von Wissenschaftsblogs von Wissenschaftsjournalisten
Wissenschaftsjournalisten setzen Wissenschaftsblogs primär als Recherchemedium im beruflichen Kontext ein und nutzen sie verhältnismäßig wenig privat (82% Nutzung im beruflichen Kontext, 52% Nutzung im privaten Kontext). Die Nutzung von Wissenschaftsblogs liegt zwischen der Nutzung von peer-geprüften Fachjournalen und einem persönlichen Direktkontakt mit dem Wissenschaftler und ist als Recherchemedium von klassischen Quellen in verschiedenen Aspekten deutlich zu unterscheiden.
Die Ergebnisse weisen darauf hin, dass Wissenschaftsblogs im Gegensatz zu klassischen Recherchemedien nicht als Entscheidungshilfe für oder gegen ein Thema eingesetzt werden, sondern erst dann, wenn ein Thema bereits ausgewählt ist und weitere Aspekte und Informationen zu diesem Thema einzuholen sind.
Die Qualität der Informationen in Wissenschaftsblogs wird jedoch von Wissenschaftsjournalisten kritisch eingeschätzt. Wissenschaftsblogs werden daher als Recherchequelle auch nur eingeschränkt verwendet. Im Gegensatz zu Wissenschaftlern und Laien scheint ein Qualitätsempfinden bezüglich der Inhalte in der Gruppe der Wissenschaftsjournalisten sehr stark mit dem fehlenden redaktionellen „Gatekeeping“ zusammenzuhängen und weniger mit „Identitätsmotiven“. Wissenschaftsblogs werden als zitierfähige Quelle daher kritisch eingeschätzt, jedoch hat zum Zeitpunkt der Datenerhebung bereits ein Drittel der Wissenschaftsjournalisten auf einen Wissenschaftsblogartikel verlinkt und ein weiteres einen solchen Artikel zitiert.
Im Rahmen der Nutzung von Wissenschaftsblogs als Recherchemedium ist eine wichtige Funktion von Wissenschaftsblogs, Expertenmeinungen zu einem Fachthema einzuholen und allgemeine Diskussionen zu wissenschaftlichen Themen recherchieren und verfolgen zu können. Die Meinungsgetriebenheit des Mediums spielt auf drei Ebenen eine Rolle.
Einsicht in Meinungen und Fachdebatten
Der Direktkontakt mit Wissenschaftlern wird von Wissenschaftsjournalisten gesucht, um Hintergrundinformationen, persönliche Perspektiven im Rahmen des Forschungsprozesses und individuelle Einschätzungen von Entwicklungstrends zu bekommen. Diese Art von Information kann auch in Wissenschaftsblogs gefunden werden. Die Stimmen der Forschung werden in Wissenschaftsblogs transparent gemacht und Einschätzungen eines Experten zu einem dezidierten Thema können eingeholt werden. Von Nachteil ist, dass die Informationen nicht exklusiv sind, was bei einer direkten Befragung eines Wissenschaftlers der Fall ist.
Weiterhin bieten Wissenschaftsblogs die Möglichkeit, Fachdebatten zwischen zwei Experten zu einem spezifischen Thema verfolgen zu können. Der vormals private innerwissenschaftliche Diskurs zwischen Wissenschaftlern wird in Wissenschaftsblogs öffentlich sichtbar. Der spezifische Mehrwert für Wissenschaftsjournalisten liegt darin, direkt in ein fachfremdes Thema einsteigen zu können und die kontroversen Punkte zu erfahren, ohne sich langwierig einlesen zu müssen. Wissenschaftsblogs bieten somit hier die Möglichkeit, sehr schnell sehr spezifisches Wissen in einem Streitgespräch zu erhalten.
Auf einer dritten Ebene hat sich die Funktion gezeigt, über Wissenschaftsblogs Einsicht in die Meinungen der (Laien-)Öffentlichkeit zu bekommen. Die Kommentare auf Wissenschaftsblogs, die vergleichbar sind mit Leserbriefen, können so einen Rückkanal aus der Öffentlichkeit darstellen und fungieren als Seismograf für Trends, Entwicklungen und Diskussionspunkte. Sie zeigen auf, welche Themen in der Öffentlichkeit Kontroversen anstoßen und von Interesse sind.
Eine weitere Funktion von Wissenschaftsblogs ist die Selbstvermarktung von freien Wissenschaftsjournalisten, die angesichts der nachhaltigen Medienkrise zukünftig immer wichtiger wird. Wissenschaftsblogs werden von freien Wissenschaftsjournalisten zu diesem Zweck bereits effektiv eingesetzt.
Nutzung von Wissenschaftsblogs von Laien
Für Laien stellen Wissenschaftsblogs sowohl ein Lern- und Weiterbildungsmedium, als auch ein „Edutainment“-Format dar. Die Nutzung erfolgt im Gegensatz zu Wissenschaftlern und Wissenschaftsjournalisten fast nur im privaten Kontext (82% Nutzung im privaten Kontext, 31 Prozent Nutzung im beruflichen Kontext). Die Nutzung wird sehr stark von Informations- und Unterhaltungsmotiven getrieben.
Laien nutzen Wissenschaftsblogs zum einen, um an sehr spezifisches Forschungswissen zu kommen, das sonst nur über die Forschung direkt zu generieren ist. Im Gegensatz zu Wissenschaftlern und Wissenschaftsjournalisten interessieren Laien jedoch nicht praktische Informationen aus der Forschung, sondern die fachliche Tiefe und die Spezifizität der Informationen, die in Wissenschaftsblogs gefunden werden können.
Zum anderen ist die Nutzung, als Alleinstellungsmerkmal im Vergleich der drei Gruppen, sehr stark Unterhaltungsgetrieben im klassischen Sinne. Der stark subjektive Stil von Wissenschaftsblogs wird als unterhaltend empfunden und verknüpft Wissensaufnahme mit Spaß.
Laien und Forscher schätzen hohe Informationsqualität
Die Mixtur zwischen Fachwissen und Alltagswissen in Wissenschaftsblogs scheint das Qualitätsempfinden des Mediums nicht zu beeinträchtigen. Laien schätzen, wie Wissenschaftler, die Qualität der Informationen in Wissenschaftsblogs höher als in redaktionell-professionellen Seiten ein. Im Gegensatz zu der Gruppe der Wissenschaftler implizieren die Ergebnisse jedoch keinen Zusammenhang des Qualitätsempfindens mit „Identitätsmotiven“ (siehe Kasten).
Deutlich ist, dass Wissenschaftsblogs den Direktkontakt zum Wissenschaftler und die Interaktionsmöglichkeiten strukturell verbessern. Jedoch werden beide Möglichkeiten wenig genutzt. Die Gruppe der Laien nutzt die Möglichkeit, über Kommentare mit dem bloggenden Wissenschaftler in Kontakt zu kommen kaum.
Die Nutzung von Wissenschaftsblogs wird jedoch von allen drei Gruppen bislang noch sehr passiv betrieben. Nur ca. ein Drittel der jeweiligen Nutzergruppe kommentiert. Ein egalitärer Wissenschaftsdiskurs über die drei Nutzergruppen hinweg ist allein vom Nutzungsverhalten somit noch eine Utopie. Jedoch zeigen die Ergebnisse auf, dass Wissenschaftsblogs bereits fester Bestandteil von Wissenschaftskommunikation sind, neue Kommunikationsstrukturen bilden und Funktionen innehaben, die sich von den klassischen (Wissenschafts-)Medien abheben und sowohl durch die berufliche, als auch private Nutzung von Wissenschaftlern, Wissenschaftsjournalisten und Laien Einfluss auf Wissenschaftskommunikation nehmen.
Manon Sarah Littek studierte Philosophie und Literaturwissenschaften an der University of Oxford (BA), Politik und Recht an der Humboldt-Universität zu Berlin (MBS) und promovierte am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaften der Freien Universität Berlin.
Die Autorin hat mehrjährige Berufserfahrung im Bereich digitale Medien und hat u. a. die Wissenschaftsblogplattform ScienceBlogs für ein deutsches Medienhaus aufgebaut